Der Tarifvertrag Arbeit 4.0 gibt den Betriebsräten neue Möglichkeiten. Unter anderem können sie Effizienzgewinne aus digitalen Projekten für die Beschäftigten nutzbar machen. Bei der DB Netz AG wird das jetzt umgesetzt, sagt Heinrich Biesel, Mitglied des Gesamtbetriebsrates.
Heinrich, gut ein Jahr gibt es jetzt den TV Arbeit 4.0. Wie lebt ihr beim Netz diesen Tarifvertrag?
Früher hat der Arbeitgeber uns bei der Umsetzung digitaler Projekte dann beteiligt, wenn er sie zum Rollout gebracht hat. Aber dann ist es für eine echte Beteiligung schon zu spät. Im Tarifvertrag Arbeit 4.0 ist vereinbart, dass die Interessenvertreter frühzeitig einzubinden sind. Wir haben jetzt mehrere Gesamt-Betriebsvereinbarungen dazu abgeschlossen, die genau festlegen, wann wir wie beteiligt werden. Und wir haben auch klar vereinbart: Wenn es Effizienzsteigerungen gibt, wollen wir einen Teil davon haben, um z.B. Qualifikations- und Gesundheitsförderung für die Kolleginnen und Kollegen zu finanzieren.
Kann man das beziffern?
Noch stehen wir da relativ am Anfang. Wir lassen uns jetzt im GBR die einzelnen Projekte vorstellen. Dann kann der Effizienzgewinn beziffert werden und dann handeln wir aus, wie viel wir bekommen. Für ein Digitalisierungsprojekt haben wir das schon durch und haben auch eine Summe festgelegt: 3,5 Millionen. Das ist nicht Geld des Arbeitgebers, sondern der Beschäftigten und das können und müssen wir jetzt auch ausgeben.
Und wofür z.B.?
Die Kolleg/innen können ihre individuellen Qualifikationen anmelden und finanzieren lassen. Wir haben schon die ersten Anträge von Leuten, die ihre Meisterausbildung nachholen wollen. Oder man kann ein Studium beantragen oder sich gesundheitsfördernde Maßnahmen finanzieren lassen.
Ihr reagiert damit auf die Weiterentwicklung von Berufsbildern…
Ja. Ich mache das mal an einem Beispiel fest, der Instandhaltung. Wir werden künftig immer mehr so genannte remotefähige Anlagen haben. Das sind Anlagen, die ihren Zustand selber erkennen und mitteilen. Bei Weichen haben wir das schon, das System heißt Diana. Das meldet dann: diese und jene Weiche ist zwar noch nicht gestört, aber hier kann in nächster Zeit eine Störung auftreten. So dass wir sie beheben können, bevor sie auftritt. Künftig werden die Anlagen melden, welches Bauteil absehbar defekt sein kann. Wir werden das demnächst bei Weichenheizungen haben und derzeit befindet sich bereits die nächste Stellwerks-Generation, die Digitalen Stellwerke, DStW, in der Vorzulassung.
Das heißt, die Entwicklung ist unausweichlich.
Es wird nicht den Big Bang geben. Alte und neue Welt werden immer nebeneinander existieren. Aber wenn wir die Instandhaltung behalten wollen, müssen wir handlungs-fähig bleiben. Sonst übernehmen das die Hersteller, so wie in der Fahrzeuginstandhaltung. Wenn wir nicht nachweisen können, dass wir im Markt bestehen können, werden wir auch nicht die Personale vorhalten können, um im Konzern zu bleiben.
Die Facharbeiter werden künftig mehr Prozessmanager sein.
Zurück zur Veränderung der Berufsbilder. Qualifikationen und fachliche Kompetenzen verschieben sich dadurch enorm.
Ja. Es wird weniger Inspektionstätigkeiten geben. Die fachliche Kompetenz besteht dann darin, aus den Daten, die man als Facharbeiter bekommt, die richtigen Maßnahmen abzuleiten. Das heißt, dass eine bestimmte Kompetenz sehr wichtig sein wird, das ist das Abstraktionsvermögen. Ich gucke mir die Anlage selbst nicht mehr an, sondern ich sehe Daten auf einer Benutzeroberfläche. Und muss dann betriebssicher damit arbeiten. Die Facharbeiter werden künftig mehr Prozessmanager sein.
Wird das in der Ausbildung berücksichtigt?
Ich sehe momentan in keinem Facharbeiter-Ausbildungsgang, dass diese Kompetenzen gefördert werden. Wir gehen davon aus, dass wir die ersten DStW 2023 haben werden. Und wenn ich daran denke, dass wir Qualifikationszeiten von fünf bis sieben Jahren haben, dann hätten wir 2016 die Leute einstellen müssen, die wir 2023 brauchen.
Werden die Beschäftigten eigentlich bei diesen Entwicklungen mitgenommen?
Da haben wir leidvolle Erfahrungen gemacht. Es gab da z.B. das Projekt SPI – Standardisierung Prozesse Instandhaltung. Da sind neue Arbeitsprozesse im Prinzip den Kolleg/innen aufgedrückt worden. Man hat das auf zentraler Ebene bearbeitet und dann runtergedrückt, ohne die Beschäftigten groß daran zu beteiligen. Übrigens mit allen Kinderkrankheiten, die neue technische Abläufe immer haben. Konsequenz: Die Leute haben sich gegängelt gefühlt und haben innerlich abgeschaltet. Viele haben gesagt: „Das ist nicht meine Welt – wir müssen nur noch Kennzahlen erfüllen, es geht nicht mehr um gute Arbeit.“ Allerdings hat man daraus auch gelernt und bei SPI II die Kolleg/innen eingebunden. Und da haben wir gesehen: Wenn die Mitarbeiter einen Mehrwert sehen, kommt auch die Akzeptanz.
Worin legt dieser Mehrwert?
Der liegt häufig daran begründet, dass sinnstiftende Arbeit geschaffen wird. Voraussetzung für Digitalisierung ist eine Standardisierung. Wenn ich Tätigkeiten aber zu 100 Prozent standardisiere, haben die Arbeitnehmer keine Autonomie mehr. Von daher stellt sich die Frage, ist es da nicht sinnvoll, dem Kollegen selbst zu über-lassen, wann er arbeitet? Wenn man ihm einen Arbeitsvorrat gibt und er entscheidet selbstständig darüber, diesen abzuarbeiten? In vielen Bereichen ist das natürlich nicht möglich, im administrativen oder im technischen Bereich aber schon. Für uns ist es daher extrem wichtig, dass wir die digitale Transformation nicht nur auf Technik beziehen, sondern auch auf die Organisation und auch auf Menschen. Der Arbeitgeber hat immer zuerst die Technik im Blick. Wir als Gewerkschaft müssen den Menschen in den Mittelpunkt stellen.