Verstaubte Einsatzplanung und schlechte Planbarkeit des Privatlebens: So stand es noch 2019 um die Diensteinteilung für die Beschäftigten der Verkehrslenkung (VL) Neckar bei DB Fernverkehr. Das brachte Missmut und Planungs-Hick-Hack. Das läuft seit Januar 2021 anders. Und wie!
Knapp zwei Jahre an Vorbereitung waren nötig. Dazu gehörten viele Gesprächen mit Beschäftigten, dem Arbeitgeber und Betriebsräten. Dann stand sie, die „Einsatzplanindividualisierung VL Neckar“. Mit ihr läuft vieles sehr viel besser; die Kolleginnen und Kollegen sind zufriedener. „Aber das geht nicht ohne gewissenhafte Vorarbeit“, erzählte uns Ingo Kratz, Betriebsratsvorsitzender DB Fernverkehr Freiburg/Karlsruhe.
Was war die Ausgangslage, Ingo?
Die Kolleginnen und Kollegen brachten immer häufiger ihren Missmut zum Ausdruck, dass ihr Privatleben schlecht planbar sei. Vor allem bei Vertretungsbedarfen durch Personalmangel (Urlaub, Krankheit, offene Stellen) wuchs der Unmut, wenn wieder ad hoc die Einsatzplanung über den Haufen geworfen werden musste. Eine langfristige Vorplanung fehlte.
Was war Euch in der Vorbereitung wichtig?
Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Individualisierung, Einsatzplanstabilität und Verlässlichkeit, waren die Schlagworte, die uns mit auf den Weg gegeben wurden. Dabei hat sich sehr schnell die entscheidende Frage in der Flexibilitätsdebatte gestellt: Wer hat künftig die Macht über die Dienstpläne? Die Führungskraft, der Planer, der Diensteinteiler oder doch eher der Mitarbeiter selbst? Wichtig war uns eine moderne Personaldisposition, die alles berücksichtigt. Unser gestecktes Ziel: Ein von allen Seiten gestütztes, modernes Planungstool, das die Interessen der Beschäftigten verfolgt und die Mitarbeiterzufriedenheit verbessert.
Die richtige Antwort konnte aus unserer Sicht nur gemeinsam mit den Beschäftigten der VL, mit den Führungskräften und der Interessenvertretung erarbeitet werden. Zunächst wurden die Wünsche und Belange der Mitarbeiter:innen abgefragt. Der Arbeitgeber teilte ebenso seine Interessen mit, signalisierte zugleich volle Unterstützung des Projektes. Eine verlässliche Einsatzplanung sei auch in seinem Interesse.
Welche Hürden gab es zu überwinden?
Menschliche und technische Hürden. Die Vielfalt der Wünsche und Anregungen war enorm. Eltern wünschen sich Zeit mit ihrer Familie. Alleinerziehende Mütter brauchen zumeist Frühdienste, um in Job und Beruf alles leisten zu können. Was ist mit Mitarbeiter:innen, die jeden Donnertag Abend einen Volksschulkurs besuchen oder dienstags ihr Fußballtraining haben? Für Ü50 sind vier Nachtschichten kaum noch leistbar; zumeist jüngere bekommen von Nachtarbeit nicht genug. Auch absehbare Änderungen von Lebensumständen sollten beachtet werden – neue:r Partner:in, das Kind, das in die Schule kommt. Auch gab es Kolleg:innen, die am bisherigen, starren Einsatzplan festhalten wollten und ihre privaten Termine „drumherum“ legen. Auch das sollte das Projekt können.
Wir sind als Gewerkschaft bei vielen Themen auf dem richtigen Weg.
Und dann kamen auch technische Herausforderungen auf uns zu. Seit einigen Jahren nutzen wir die App etime auf unseren (privaten) Smartphones. Mit ihr konnte jede und jeder auf seinen elektronisch abgespeicherten Dienstplan zugreifen, mögliche Änderungen erkennen oder sich über den tagesaktuellen JAZ informieren. Mitten in unserer Konzeptplanung wurde uns mitgeteilt, dass die App ab 2021 nur noch auf DB-eigenen Endgeräten funktionieren wird. Die intensive Suche nach einer Lösung wurde belohnt. Wir erhielten aus dem Bordservice Endgeräte, die aufgrund neuer Anpassungen der Software übriggeblieben waren. Das funktionierte ohne großen Aufwand, war ökologisch und kostensparend zugleich.
Dann konntet ihr in die Umsetzung der Theorie gehen?
Es gab so sehr viel zu bedenken. Ich glaube, dass wir (fast) alle Eventualitäten abgebildet hatten. Geholfen haben uns dabei die vielen eingebrachten Impulse der rund 70 Kolleginnen und Kollegen. Nachdem wir alle Zutaten beieinander hatten, konnten wir endlich unsere Idee konkret planen. Gemeinsam mit unseren ehemaligen und langjährigen Diensteinteiler Klaus Grahn überlegten wir uns ein Konzept. Er ist sozusagen der Vater der Individualisierung in der VL Neckar. Diese Wochen waren für uns so spannend. Wird alles aufgehen, wie wir es uns vorstellten? Können wir alle Belange von allen berücksichtigen, ohne dass Besetzungslücken entstehen? Nach Aus- und Verwertung aller Parameter, kamen wir zu dem Ergebnis, dass es losgehen kann. Am 1. Januar 2021 startete der Pilot „Einsatzplanindividualisierung VL Neckar“.
Welche Erfahrungen könnt ihr nun an andere Bereiche weitergeben?
Wir verzeichnen seit Start des Piloten einen wochenweisen Krankenstand von 0,0. Corona, Lockdown, aber auch das Hochfahren des Lebens konnten unsere neue Einsatzplanung nicht erschüttern. 95 % aller Wünsche konnten darin erfüllt werden. Wir fahren damit sehr, sehr gut. Die Probleme und zusätzlichen Arbeitsaufwand wie früher bei der Personaleinsatzplanung gibt es nicht mehr.
Wir beobachten, dass die Wünsche abnehmen. Die Kolleg:innen konnten ihre Rahmenbedingungen für Dienst und Familienleben mit Phase 1 schaffen. Aber wir wollen noch besser auf kurzfristige Wünsche/Änderungen durch die Betriebslage eingehen können. Dafür werden wir im zweiten Schritt der Individualisierung einige Disposchichten mit Zeitfenstern versehen. Die „Frühkollegen“ bekommen dann zumeist „Dispo Früh“. Das heißt, sie haben Dispo und haben dann im Regelfall eine Frühschicht zu erwarten.
Die „Einsatzplanindividualisierung VL Neckar“ ist ein weiteres Beispiel für unsere aktive EVG und erfolgreiche Betriebsratsarbeit. Zufriedenheit am Arbeitsplatz ist nicht immer nur eine Frage von mehr Geld. Gerade Freizeit ist für viele Beschäftigte eine sehr wichtige Währung. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie im Sinne des DemografieTV soll Zufriedenheit schaffen. „Wir sind als Gewerkschaft bei vielen Themen auf dem richtigen Weg“, sagt Ingo Kratz. „Deswegen ist sie für die Mitglieder ein verlässlicher Partner und für neue Mitglieder immer interessanter“.