Ein Interview mit Dr. Daniel Hay, dem wissenschaftlichen Direktor des Instituts für Mitbestimmung und Unternehmensführung (I.M.U.), der einen Überblick über die Aktivitäten der Stiftung in diesem Jahr und die Hintergründe gibt. Das Interview wurde im Rahmen der Kampagne „Mitbestimmung sichert Zukunft“ von DGB und Hans Böckler Stiftung geführt.
Die Hans-Böckler-Stiftung startet eine Kampagne für die Stärkung der Mitbestimmung. Warum?
„Die allermeisten Menschen, gerade junge, legen großen Wert darauf, im Job ernst genommen zu werden. Sie möchten nicht als Befehlsempfänger des Chefs behandelt werden, sondern in einem Team arbeiten, mit Rechten und Kompetenzen. Und sie wollen auf keinen Fall bloße ökonomische Verfügungsmasse sein, die schnell mal geopfert wird, wenn die Rendite nicht stimmt. Sie möchten also genau das, was man als „Arbeiten auf Augenhöhe“ in einer modernen Wirtschaft bezeichnen kann. Mitbestimmung sichert und fördert diese Augenhöhe.
Das geschieht durch die Arbeit von Gewerkschaften, Betriebsräten und dadurch, dass in großen Unternehmen Vertreter*innen der Beschäftigten im Aufsichtsrat mitentscheiden. In Umfragen findet eine große Mehrheit der Arbeitnehmer*innen Mitbestimmung richtig gut. Aber viele sind sich nicht bewusst, dass insbesondere die Unternehmensmitbestimmung kein Selbstläufer ist, sondern bedroht.“
Was passiert konkret?
„Wir führen drei Stränge zusammen: Erstens das Wissen, welche Vorteile Mitbestimmung bringt. Zahlreiche wissenschaftliche Studien zeigen: Mitbestimmung sorgt für bessere Arbeitsbedingungen. Und sie nützt darüber hinaus auch dem gesamten Unternehmen. Beispielsweise verfolgen mitbestimmte Unternehmen häufiger eine innovationsorientierte Geschäftsstrategie und sie kommen wirtschaftlich erfolgreicher durch Wirtschaftskrisen und Umbruchsituationen. Davon hat dann natürlich die gesamte Gesellschaft etwas. Nur ein paar Beispiele: Mitbestimmte Unternehmen bilden mehr aus, sie investieren stärker – auch in Nachhaltigkeit - und betreiben seltener Steuervermeidung. Mitbestimmung sichert Zukunft, das kann man also detailliert belegen. Zweitens zeigen wir, dass die Mitbestimmung viele Freund*innen hat. Dazu sammeln wir Testimonials, die man im Sommer an ganz unterschiedlichen Orten sehen wird: im öffentlichen Raum, aber auch im Internet. Und dabei werden auch ein paar Freund*innen der Mitbestimmung zu sehen sein, an die man nicht sofort denkt. Drittens machen wir deutlich, dass dringend etwas getan werden muss, um die Mitbestimmung zu sichern und zu stärken. Denn sonst blutet sie aus.“
2021 feiert die Montanmitbestimmung, also die stärkste Form dieses Arbeitnehmer*innenrechts, 70. Geburtstag. Spielt das auch eine Rolle?
„Ja, anfangs ging es tatsächlich mal um einen Festakt. Doch schnell stand für uns fest, dass es nicht reicht, zurückzublicken und darüber zu philosophieren, wie schön die Montanmitbestimmung war und ist. Wir nehmen die Montanmitbestimmung als Einstieg in die vorwärtsgewandte Diskussion, wie sich Mitbestimmung insgesamt weiterentwickeln muss.“
Mitbestimmung sorgt für bessere Arbeitsbedingungen. Und sie nützt darüber hinaus auch dem gesamten Unternehmen.
Was an der Montanmitbestimmung ist denn heute noch wegweisend?
„Die größte Errungenschaft war, dass die Kapitalvertreter*innen nicht einfach über die Köpfe der Beschäftigten hinweg entscheiden. Ein Doppelstimmrecht des/der Aufsichtsratsvorsitzenden, mit dem sich die Kapitalseite bei Konflikten auch ohne die besseren Argumente durchsetzen kann, gibt es nicht. Was dieses Doppelstimmrecht für die Beschäftigten bedeutet, hat der Fall Continental sehr prominent gezeigt, wo der Arbeitgeber eine Werksschließung trotz Profitabilität an den Beschäftigten vorbei durchgeboxt hat.“
Aber wenn es ein Patt gibt, muss doch irgendwie entschieden werden, oder?
„Ja, klar. In der Montanmitbestimmung werden Konflikte aber durch eine neutrale Person vermittelnd gelöst. Es geht nicht darum, Entscheidungen zu blockieren, sondern darum, die Sicht der Arbeitnehmer*innen einzubringen. Ihre Ideen, ihre Kreativität und ihr Wissen sind ein strategischer Wettbewerbsfaktor. Wir brauchen auch in den anderen Mitbestimmungsgesetzen einen neuen Mechanismus, um Konflikte zu lösen. Die Doppelstimme ist nicht zeitgemäß. Abgerundet wird nachhaltige Unternehmensführung durch vom Vertrauen der Arbeitnehmer*innen getragene Arbeitsdirektor*innen.“
Was heißt das für die Zukunft?
„Die Idee der Montanmitbestimmung ist heute relevanter denn je. Es geht nicht mehr nur um Kohle und Stahl, sondern auch um Finanzmarktkapitalismus und eine sich rasant verändernde Arbeitswelt durch Technologiewandel. Beschäftigte sind vielfach der Willkür des Finanzmarkts ausgesetzt. Vorstände orientieren ihre Entscheidungen allzu oft an den Erwartungen des Kapitalmarkts und nicht daran, was für die Beschäftigten und für eine nachhaltige Entwicklung des Unternehmens notwendig ist.“
Zurück zur Idee der Montanmitbestimmung?
„Ja, aber da reichen keine Appelle, es braucht verbriefte Mitspracherechte. Eine starke Mitbestimmung sichert gute Arbeit und stabile Einkommen und damit die Zukunft einer Region. Die politischen Entscheidungsträger*innen sollten wissen, dass eine sozialökologische Transformation nur mit den Beschäftigten gelingen kann. Garant für die soziale Absicherung ist die Mitbestimmung - wenn sie so ausgestaltet ist, dass die Arbeitnehmerseite nicht einfach überrollt werden kann. Unternehmen haben nicht nur die Aufgabe, Gewinne zu erwirtschaften. Sie tragen auch eine gesellschaftliche Verantwortung.“
Was muss sich noch ändern?
„Unternehmen dürfen Mitbestimmung nicht mehr verhindern oder vermeiden. Mindestens 307 große Unternehmen in Deutschland entziehen sich durch juristische Tricksereien der Mitbestimmung. Ein Beispiel: die Meyer Werft in Papenburg. Das gesamte operative Geschäft, die Betriebsstätten, die ganze Wertschöpfung dieser Firma findet in Deutschland statt. Aber weil sie im Handelsregister in Luxemburg eingetragen ist, findet das Mitbestimmungsgesetz keine Anwendung. Das ist absurd! Über hundert große Unternehmen ignorieren die Gesetze zur paritätischen Mitbestimmung im Aufsichtsrat. Das ist zwar rechtswidrig, wird bislang aber nicht wirksam sanktioniert. Allein in Unternehmen mit mehr als 2000 Beschäftigten werden mindestens 2,1 Millionen Beschäftigte legal oder illegal um Mitbestimmungsrechte gebracht. Hier setzt unsere Kampagne an: Mitbestimmung für alle, unabhängig von der Rechtsform und vom gesellschaftsrechtlichen Sitz des Unternehmens. Und zwar durch Gesetze, die man nicht einfach umgehen kann, und die auch durchgesetzt werden. Der Gesetzgeber in Deutschland und Europa hat es in der Hand. Der gesetzgeberische Aufwand wäre moderat – man muss es nur wollen.“
Bislang ist da wenig passiert…
„Ja, und das muss sich ändern, rasch. Es gibt durchaus positive Signale, dass das Thema in der Politik ankommt. In Berlin, aber auch bei der EU-Kommission. Kürzlich hat etwa EU-Kommissar Nicolas Schmit geschrieben, die Europäisierung von Unternehmen dürfe auf keinen Fall die Mitbestimmungsrechte untergraben. Im Gegenteil, die Wirtschaft des 21. Jahrhunderts brauche mehr Mitsprache - auch, weil es darum gehe, die Mitverantwortung der Unternehmen für das allgemeine Wohlergehen zu stärken. Das könnten wir nicht treffender formulieren."