Wie werden wir in Zukunft in Deutschland mobil sein? Klar ist, an einem entschiedenen Umsteuern und einem radikalen Bruch mit der Verkehrspolitik der Vergangenheit führt kein Weg vorbei, um eine lebenswerte Umwelt und eine humane Mobilität auch in Zukunft zu garantieren. Mit einer spannenden und hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion ist der erste Tag der Mitbestimmungskonferenz von EVG und EVA zu Ende gegangen.
Für den nordrhein-westfälischen Verkehrsminister Oliver Krischer muss „der öffentliche Verkehr eine noch stärkere Rolle spielen als heute, und darauf müssen wie die Gesellschaft vorbereiten.“ Notwendig dafür seien auch strukturelle Änderungen. „Wir müssen nicht nur darüber reden, dass die Schiene mehr Geld bekommt, wir müssen auch darüber reden, wo wir das hernehmen. Da müssen wir z.B. ans Dienstwagenprivileg ran. Diese Subvention ist nicht nur schädlich fürs Klima, sie ist auch sozial ungerecht.“
Bernd Riexinger, Bundestagabgeordneter der LINKEN, geißelte die Verkehrspolitik der vergangenen Jahrzehnte: „Die Bahn ist finanziell vernachlässigt worden, es wurde an der falschen Stelle gespart. Und wenn wir heute in den Verkehrsausschuss des Bundestags gucken, dann wird das fortgesetzt.“ Die Folge: Der Verkehrssektor sei der einzige Wirtschaftsbereich, der seit 1990 seine CO2-Emissionen nicht gesenkt hat.“ Riexinger forderte, die Arbeit bei der Eisenbahn wieder attraktiver machen. „Man bedankt sich gerne mal ein allen, die die Gesellschaft am Laufen halten. Aber wenn es an die Bezahlung geht, an Personalausstattung, dann passiert nichts mehr.“
„Wir sind immer noch ein Autofahrerland und das muss sich endlich ändern“, so der Geschäftsführer Bahn von Transdev, Tobias Heinemann. „Dafür muss man nicht mal die Verfassung ändern, sondern nur die Zahlen im Haushaltsplan. Straße runter, Schiene rauf, dann funktioniert da auch.“ Städte wie London und Stockholm hätten mit ihrer City-Maut gezeigt, wie es geht. Er kritisierte insbesondere die Benachteiligung der Schiene im intermodalen Wettbewerb. „Solange der Schienengüterverkehr die heutigen Trassenentgelte zahlen muss, während die Lkw-Maut auf einem historisch niedrigen Niveau bleibt, wird der Schienengüterverkehr nie eine Chance haben. Wie absurd ist das denn, dass wir ausgerechnet von dem Verkehrsträger, der am meisten zum Kampf gegen den Klimawandel beiträgt, verlangt, dass er Geld verdienen soll?“
In dieselbe Kerbe schlug Ralf Damde, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats DB Regio. „Wenn wir nicht mehr in der Lage sind, lebenswichtige Industrien mit Rohstoffen zu beliefern und Güter nicht mehr abtransportieren können, stellen wir unsere Zukunft in Frage. Wir haben 40 Jahre lang abgebaut und zurück gebaut. Um auf den Stand zu kommen, den wir vor 40 Jahre hatten, brauchen wir 86 Milliarden Euro.“ Das 9-Euro-Ticket habe gezeigt, „was alles schiefgelaufen ist in den vergangenen Jahren: Geiz ist geil. Und da haben alle Parteien mitgemacht.“ Damde kritisierte auch, dass die Politik das Thema Sicherheit in Zügen, Bussen und Verkehrsstationen vernachlässigt habe. Die Verkehrsunternehmen und ihre Beschäftigten seien „Teil der Lösung, nicht des Problems. Und wir möchten auch, dass man so mit uns umgeht.“
„Die Verkehrswende ist nicht nur eine Antriebswende“, so die klare These des EVG-Vorsitzenden Martin Burkert. „Wir brauchen keine Oberleitungs-Autobahnen. Es ist doch völlig verrückt, dass man für die E-Mobilität auf der Straße 5 Milliarden Euro zur Verfügung stellt und auf der Schiene nichts voranbringt.“ Er wies darauf hin, dass auf die Bundesrepublik Strafzahlungen in Milliardenhöhe zukommen, weil die Klimaziele verfehlt werden. „Niemand versteht, warum dieses Geld nicht von vornherein in die Schiene investiert wird.“ Auch Burkert sprach sich dafür aus, die Arbeit bei den Eisenbahnen attraktiver zu machen. Aber: „Wertschätzung drückt sich nicht nur in Geld aus. Sondern da geht es auch um attraktive Arbeitszeitmodelle, um Kinderbetreuung während der Arbeitszeit, um bezahlbaren Wohnraum.“
Zuvor hatte der Mobilitätsforscher Hans-Peter Kleebinder einen Blick auf die Mobilität von morgen geworfen. Seine These: Wir haben den „tipping point“ erreicht - den Moment, in dem sich eine solche Menge an Probleme angehäuft hat, dass eine Gesellschaft ihr Verhalten ändert: den Wendepunkt also. „Null Emissionen, null Unfälle, null Stau, null Eigentum“ - das sei realistisch bis zum Jahr 2035 zu erreichen. „Wir können gesünder und sicherer leben und haben die Chance, unsere Städte neu zu gestalten.“
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