Leider ein Thema, das Beschäftigte bei Bus und Bahn in unseren europäischen Nachbarländern genauso kennen wie in Deutschland: Pöbeleien, Übergriffe, Gewalt am Arbeitsplatz. Auf der internationalen Tagung „Bedroht, beschimpft, geschlagen - Schutz vor Gewalt am Arbeitsplatz - wichtiger denn je!“ in Wien diskutierten Gewerkschafter:innen, Betroffene und Expert:innen über Möglichkeiten der Prävention, aber auch über die gesellschaftlichen Hintergründe der zunehmenden Aggressivität.
Mehr als 200 Teilnehmende waren dabei; Veranstalter waren die Gewerkschaften vida und GPA, die Arbeiterkammer Wien und der Verein für Verbrechensopferhilfe WEISSER RING. Gewalt im Job, so Roman Hebenstreit, Vorsitzender der Gewerkschaft vida, dürfe nicht einfach hingenommen werden, sondern es müsse aktiv dagegen vorgegangen werden. „Nur wer aktiv wird, kann etwas verändern. Zu Mut und Zivilcourage, dazu wollen wir mit unserer Plattform Tatort Arbeitsplatz motivieren, denn Gewalt im Job darf nicht als Berufsrisiko abgetan werden.“
Die Teilnehmenden sind sich einig: Vorfälle und Übergriffe müssen systematisch erfasst, Präventionsmaßnahmen und Schulungen zur Deeskalation angeboten und Opfern bei der Bewältigung ihrer teils traumatischen Erfahrungen geholfen werden. Dazu sind Politik und Arbeitgeber in die Pflicht zu nehmen.
Nicht die Täter oder Vorgesetzten befinden darüber, wie schlimm ein Übergriff ist. Das entscheidet das Opfer. Meldet jeden Übergriff!
Für die EVG, die sich dem Thema unter dem Motto „sicher unterwegs“ stellt, nahm der stellvertretende Vorsitzende Kristian Loroch an der Tagung teil. Er stimmte Roman Hebenstreit zu: „Sorgen die Arbeitgeber nicht für eure Sicherheit, werden sich Menschen andere Arbeitsplätze suchen – Gewalt muss und soll sich keiner aussetzen müssen.“ Er betonte auch, wie wichtig es ist, dass jeder Übergriff - und mag er noch so geringfügig erscheinen - gemeldet wird. Nur so wird das ganze Ausmaß der Gewalt gegen Beschäftigte sichtbar. Denn auch sexistische Beleidigungen oder Übergriffe hinterlassen oft nachhaltige psychische Beeinträchtigungen oder Schäden, die nicht zu akzeptieren sind.
Allein bei der Deutschen Bahn ist die Zahl der gemeldeten Vorfälle innerhalb von zehn Jahren von knapp 1.200 auf über 3.100 gestiegen. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den NE-Bahnen, sofern hier Zahlen vorliegen. „Übergriffe gehören inzwischen leider zum Berufsalltag unserer Beschäftigten.“ Die Wahrscheinlichkeit, am Arbeitsplatz Opfer eines Übergriffs zu werden, sei für Beschäftigte im öffentlichen Verkehrswesen inzwischen bis zu 4-mal höher als im Durchschnitt. Zusätzliches Konfliktpotenzial habe sich durch die Corona-Pandemie ergeben, da die Beschäftigten der Verkehrsbetriebe teilweise für die Durchsetzung der Abstands- und Hygieneregeln zuständig waren. Allein hierauf lassen sich rund 500 Vorfälle zurückführen.
Kristian Loroch forderte vor allem die Unternehmen und die Aufgabenträger des SPNV auf, Verantwortung zu übernehmen, denn die Züge des SPNV sind ein Schwerpunkt der Übergriffe.
„Sicherheit gehört in die Ausschreibungsbedingungen, und dafür muss es einheitliche Regelungen geben.“ Alle Züge müssten mit zwei KiN / ZUB besetzt werden, auf Strecken mit besonderen Risiken müsse zusätzliches Sicherheitspersonal eingesetzt werden. Wichtig sei auch, das Thema Sicherheit mit seinen verschiedenen Aspekten in die Ausbildung zu integrieren: Erste Hilfe, Rechtsfragen, Deeskalation, Selbstbehauptung, Kommunikation und interkulturelle Kompetenz.
Weiter forderte Kristian u.a. die Einführung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften zur konsequenten Strafverfolgung der Übergriffe auf Beschäftigte des öffentlichen Dienstes und eine verstärkte Präsenz der Bundespolizei.
Und wie sieht es mit technischen Komponenten aus? „Wir können uns gut vorstellen, alle Beschäftigten in Bus, Bahn und in und auf Bahnhöfen mit einer Smartwatch auszustatten, die über einen Notrufknopf verfügt, der den Ruf sekundenschnell weiterleitet. So kann zum einen, wenn nötig, Hilfe organisiert werden und zum anderen niedrigschwellig dokumentiert werden, damit wir einheitliche und geschäftsfeldübergreifend vergleichbare Übergriffsmeldungen haben und ein differenziertes Bild der Arbeitssituation unserer Beschäftigten haben.“ Der Vorteil gegenüber Tablet und Handy: Die Smartwatch sitzt fest am Handgelenk und kann auch bei einer körperlichen Auseinandersetzung nicht so leicht verloren gehen. Offen zeigte sich der EVG-Vize auch für den Einsatz von Bodycams, allerdings auf freiwilliger Basis: „Die Erfahrungen zeigen, dass die am Körper getragenen Kameras potenzielle Täter:innen abschrecken und bei der Aufklärung von Übergriffen helfen können.“
Per Video war auch die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack zugeschaltet. „Die Zahlen und die täglichen Erfahrungen unserer Kolleginnen und Kollegen zeigen, dass Gewalt für diejenigen, auf die sich unsere Gesellschaft tagtäglich verlässt, Alltag geworden ist. Hier muss endlich gegengesteuert werden.“ Die DGB-Vize ging auf die DGB-Kampagne „Vergiss nie, hier arbeitet ein Mensch“ ein. „Die öffentlichen Arbeitgeber und Verkehrsunternehmen stehen hier in der Pflicht. Doch auch uns als Gesellschaft geht diese Entwicklung etwas an. Mit unserer Initiative appellieren wir daher auch an die Bürgerinnen und Bürger sich stets bewusst zu machen: Vergiss nie, hier arbeitet ein Mensch. Mit dieser Botschaft streiten wir in der Öffentlichkeit, bei Arbeitgebenden und der Politik für einen Bewusstseinswandel und für greifbare Verbesserungen für die Menschen, die täglich für uns im Einsatz sind."