Die Zahlen der Schwerbehindertenquote bei der DB InfraGO AG sind nicht erfreulich - und das nun schon seit Jahren. Mit 4,51 Prozent liegt der Anteil der Schwerbehinderten weiterhin unter der gesetzlich geforderten Quote von mindestens 5 Prozent.
Bei genauer Betrachtung ergibt sich allerdings ein differenzierteres Bild: im Bereich „Personenbahnhöfe“ wird die Quote mit bis zu 12 Prozent teilweise übererfüllt, im Bereich „Fahrweg“ werden die Vorgaben des Gesetzgebers verfehlt. Beide Bereiche bilden seit dem 01.01.2024 nun die DB InfraGO AG. Da der Bereich Fahrweg deutlich größer ist als der Bereich Personenbahnhöfe bleibt unterm Strich ein Minus. Aktuell beträgt die Beschäftigungsquote 4,51 Prozent, mit weiter fallender Tendenz. Dies wurde auf der ersten gemeinsamen Sitzung der Schwerbehindertenvertrauenspersonen (SVP) beider Bereiche deutlich.
Das war nicht immer so. Doch seitdem die DB AG deutlich mehr Personal einstellt, fällt es schwer, im gleichen Maße auch Schwerbehinderte für die Arbeit bei der Deutschen Bahn zu begeistern. Für die Vertreterinnen und Vertreter der Schwerbehinderten aus dem Bereich DB InfraGO AG gibt es dafür vielfältige Gründe.
Zum einen sind es die teilweise sehr speziellen Berufe, die - verbunden mit besonderen Anforderungen - für Schwerbehinderte oft eine hohe Einstiegshürde darstellen. „Häufig sind es aber auch völlig falsche Vorstellungen, die Interessierte mitbringen“, sagt eine Fahrdienstleiterin. Viele würden regelrecht erschrecken, wenn sie erfahren, dass rund um die Uhr und das an 365 Tagen im Jahr gearbeitet wird.
„Manchmal sind es aber auch nur Kleinigkeiten“, so Barbara Müller, Leiterin I. IHB der DB InfraGO AG: „Wenn ein/e Bewerber/in für einen Arbeitsplatz im Büro aus gesundheitlichen Gründen beispielsweise nicht in der Nähe eines Laserdruckers sitzen darf, dann reduzieren sich dadurch natürlich die Einsatzmöglichkeiten.“ Gleichwohl werde bei allen Bewerbenden intensiv nach passenden Möglichkeiten der Beschäftigung gesucht. Denn das Verfehlen der Beschäftigungsquote ist für die DB InfraGO AG ein teures Unterfangen. Es mussten im vergangenen Jahr 781.200 Euro an Ausgleichsabgabe für 465 nicht besetzte Pflichtarbeitsplätze von Schwerbehinderten bezahlt werden.
Abgelehnten Bewerberinnen und Bewerbern eine „zweite Chance“ zu bieten, ist eine Aufgabe von Rebecca Gerwert. Sie und die anderen Kolleg:innen im Inklusionszentrum versuchen herauszufinden, ob es im Unternehmen an anderer Stelle nicht möglicherweise doch noch einen Arbeitsplatz geben könnte, der passend wäre. „Dazu muss man gut vernetzt sein, um zu wissen, wo welche Bedarfe bestehen und ob Arbeitsplätze entsprechend der Behinderung angepasst werden können“, sagt sie. Das Projekt wurde 2020 entwickelt und seit 2021 pilotiert. Im Sommer 2024 wird das Inklusionszentrum voraussichtlich in allen Regionen ausgerollt sein.
Wie Kolleginnen und Kollegen, deren anerkannte Behinderung zwischen 30 und 50 Prozent liegt, Schwerbehinderten „gleichgestellt“ werden können, darüber informierten umfassend die GSVP-Stellvertreter Sebastian Koch und Udo Thöne. Ein weitreichender Kündigungsschutz und die Möglichkeit, notwendige Anpassungen am Arbeitsplatz leichter vornehmen zu können, sind die Folge. Und: auch die „Gleichgestellten“ werden auf die Schwerbehindertenquote des Unternehmens angerechnet, die dadurch wieder steigt.
Strittig diskutiert wurde das präventive Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM-P). Der Gesetzgeber verlangt, dass Arbeitgeber auf Beschäftigte zugehen, die länger als sechs Wochen innerhalb von 12 Monaten arbeitsunfähig sind. Auf freiwilliger Basis soll im persönlichen Gespräch geklärt werden, was getan werden kann, um im Betrieb wieder möglichst ohne gesundheitliche Einschränkungen arbeiten zu können. „Bislang haben wir regelmäßig Listen erhalten, denen wir auf einen Blick alle relevanten Daten entnehmen konnten. Seitdem beim BEM-Verfahren vieles digitalisiert wurde, muss ich mich umständlich durch verschiedene Ebenen des Programms klicken, um die für meine Arbeit nötigen Informationen zu bekommen“, klagte nicht nur ein SVP. Das Programm werde zwar ständig weiterentwickelt, viele fühlten sich aber wie ein „Versuchskaninchen“. Der Ärger scheint groß.
„Abschalten und nachbessern“ fordert dann auch der Vorsitzende der Konzern-SVP, Steffen Pietsch. Andere sind da weniger „streng“ und empfinden die digitalen Varianten auch in der derzeit noch verbesserungsfähigen Variante als gewisse Erleichterung. Allen gemeinsam ist die Kritik an der standardisierten Vorgehensweise. Wer 42 Tage arbeitsunfähig ist, bekommt eine schriftliche Aufforderung zum Präventionsgespräch mit dem Arbeitgeber – per Mail oder per Post, das entscheidet der Vorgesetzte.
Erfolgt darauf keine Reaktion, gibt es ein Erinnerungsschreiben. Wird auch dieses „ignoriert“, endet das BEM-P automatisch, da dann unterstellt wird, dass daran kein Interesse besteht. „Uns fehlt da die persönliche Ansprache. Viele Betroffene wissen gar nicht, worum es geht und welche Chancen sich ihnen bieten. Manche sind auch so krank, dass sie in den vorgesehenen Fristen gar nicht antworten können“, kritisierten die Schwerbehindertenvertreter. Etwas mehr Empathie und persönliche Ansprache wären schon erforderlich, um dem Anliegen des Gesetzgebers nicht nur formal zu entsprechen.
Claudia Bornschein und Wolfgang Schnell informierten stellvertretend für alle SPV-Vertreterinnen und Vertreter aus dem Bereich Personenbahnhöfe. Sie zeichneten auf der gemeinsamen Arbeitstagung ein interessantes Bild ihres Arbeitsbereichs. „Wir werden ganz schnell zusammenwachsen“, machte denn auch Dirk Hoffmann, Vorsitzender der Gesamtschwerbehindertenvertretung (GSVP) deutlich.
Die nächste Arbeitstagung soll am 17./18.9.2024 in Fulda stattfinden. Nicht mehr dabei sein wird Walter Kunert, der sich seit 2006 bis zum heutigen Tag in verschiedenen Ämtern für die GSVP und SVP engagiert hat. Er wurde in Darmstadt aus der Vertretung der Schwerbehinderten-Vertrauenspersonen gebührend verabschiedet.