Vorbild Österreich: „Wie man angesichts von 10 Jahren Nullzins-Politik nicht investieren kann, ist für mich unvorstellbar“

Im Lichte der Bundestagswahlen und zunehmender Rufe nach einer Zerschlagung der Deutschen Bahn, trafen sich mehr als 40 Aufsichtsrätinnen und Aufsichtsräte der EVG aus den Infrastrukturunternehmen in Leipzig, um über die Zukunft der Schiene zu beraten. Mit dabei: Der frühere ÖBB-Chef und Bundeskanzler a.D. Christian Kern.

In der Diskussion gingen der Österreicher hart mit der deutschen Infrastrukturpolitik ins Gericht. „Die Infrastruktur in Deutschland ist die einer führenden Industrienation unwürdig“, konstatierte Ex-Kanzler Kern mit deutlichen Worten. „Wie man angesichts von 10 Jahren Nullzins-Politik nicht investieren kann, ist für mich unvorstellbar“, kritisierte der Sozialdemokrat in Richtung deutscher Schuldenpolitik.

Der erfolgreiche ÖBB-Manager hat sich intensiv mit der Neustrukturierung der InfraGo befasst. Dabei lobt der Bahnexperte den enormen Sachverstand bei den Mitarbeitern des Unternehmens, mahnte aber zu mehr Ehrlichkeit. „Deutschland muss mit einer Lebenslüge aufräumen. Es gibt auf diesen Planeten keine Infrastruktur, die auf Profitabilität getrimmt werden kann“.

„Die Infrastruktur in Deutschland ist die einer führenden Industrienation unwürdig.“

Christian Kern, Früherer ÖBB-Chef und Bundeskanzler a.D.

Dabei spielte Kern auf die Entscheidung der Bundesregierung ab, Teile der Finanzierung der Schiene über eine Eigenkapitalerhöhung bei der Deutschen Bahn zu vollziehen, die durch Verzinsung zu höheren Trassenpreisen für den Schienengüter- und Fernverkehr führt. In Österreich wurde dagegen auf eine überjährige Finanzierung von sechs Jahren umgestellt, um Planungssicherheit für Unternehmen und Bauindustrie zu schaffen.

Während sich die Teilnehmenden beim Thema Finanzierung weitestgehend einig zeigten, wurde zugleich intensiv über Strukturprobleme bei der Deutschen Bahn gesprochen. Dabei regte Prof. Christian Böttger zur Diskussion an, der sich offen für eine Trennung zwischen Netz und Betrieb zeigte und die Steuerung bei der Deutschen Bahn AG kritisierte.

„Wir stellen uns der Kontroverse, wir wollen Veränderung, aber eine Trennung löst keines der massiven Probleme“, betonte dagegen EVG-Vize Kristian Loroch, der zugleich auch stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender bei der DB InfraGo ist. Dem pflichteten nicht nur die EVG-Interessenvertreter:innen bei, sondern auch DB-Infrastrukturvorstand Berthold Huber und Bundeskanzler a.D. Kern. „Dort wo der Schienengüterverkehr und der Personenverkehr erfolgreich sind, gibt es integrierte Bahnkonzerne“, unterstrich Kern.

„Wir stellen uns der Kontroverse, wir wollen Veränderung, aber eine Trennung löst keines der massiven Probleme.“

Kristian Loroch, EVG-Vize und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender bei DB InfraGo

Kern lobte das Fachwissen bei der Deutschen Bahn, zog aber Parallelen zu seiner Anfangszeit bei der ÖBB im Jahr 2010. „Ich habe gleich festgestellt. Wir haben viele exzellente Leute, aber alle arbeiten an unterschiedlichen Dingen. Wie im Orchester: einer spielt Vivaldi, einer Mozart, der andere Schubert.“ Tausende Führungskräfte, die von sich glaubten, die wahren Bestimmer zu sein. Dabei müsse doch die Kundenzufriedenheit das zentrale Mantra sein.

Im Wiener Schmäh gab Kern auch einige Praxistipps. Die ÖBB sei seinerseits zu komplex organisiert gewesen. Im ersten Schritt habe er daher die Führungskräfte halbiert und die Berater rausgeschmissen. „Millionen an Aufwendungen für Externe, obwohl das Fachwissen im eigenen Laden vorhanden ist. Das frustriert doch die Leute.“ Die Eisenbahner müssten im Gasthaus wieder sagen können, dass sie stolz auf ihre Arbeit sind und schloss optimistisch ab: „Sie haben den Kader von Bayern München, brauchen aber eine Politik, die vorgibt, wo es langgeht."

„Millionen an Aufwendungen für Externe, obwohl das Fachwissen im eigenen Laden vorhanden ist.“

Christian Kern, Früherer ÖBB-Chef und Bundeskanzler a.D.

Auch der EVG-Vorsitzende Martin Burkert betonte, dass man in Deutschland noch einiges von Österreich und der Schweiz lernen könne. So zum Beispiel im Hinblick auf eine robuste Infrastruktur und eine zukunftssichere Finanzierung.

„Während hierzulande immer wieder über die Zerschlagung der Bahn fabuliert wird, sind die dortigen integrierten und gut finanzierten Bahn-Unternehmen anerkannte Vorbilder in Europa. Ihre Verkehrs-Anteile sind deutlich höher als in Deutschland – mit guten und sicheren Arbeitsplätzen."

Das liege auch an der auskömmlichen und langfristigen Finanzierung der Schieneninfrastruktur, so Burkert. Davon könnten wir uns hier in Deutschland eine Scheibe abschneiden: „In der Schweiz fließen Mauterlöse, Steuereinnahmen und Haushaltsmittel in einen überjährigen Schieneninfrastruktur-Fonds. Damit gibt es langfristige Planbarkeit und eine hohe Mittelausstattung für das Schienennetz.“

Auch Österreich habe mit dem Rahmenplan für die Schieneninfrastruktur mehrjährige Finanzierungs-Sicherheit. Bei uns hingegen entscheide der Bundestag jedes Jahr aufs Neue über die Höhe staatlicher Zuschüsse.

Einblicke gab es auch von unserer Schwestergewerkschaft vida aus Österreich. Vida-Chef Roman Hebestreit und Robert Hofmann, Zentralbetriebsratsvorsitzender der ÖBB Infrastruktur, wendeten sich mit starken Worten gegen den europäischen Liberalisierungskurs im Schienenverkehr. „Wenn der integrierte Konzern in Deutschland aufgebrochen wird, hat das auch massive Folgen bei uns. Deswegen habt ihr unsere volle Unterstützung im Kampf gegen die Zerschlagung und für eine Bahn mit Zukunft.“

Die Vernetzungsveranstaltung für EVG-Aufsichtsräte der Infrastruktur findet bereits zum zweiten Mal in Leipzig statt. In Anbetracht der politischen Herausforderungen und der bevorstehenden Bundestagswahl, zeigten sich die Teilnehmenden überzeugt, in Zukunft noch mehr zusammenzurücken und sich zu verzahnen.

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