Ende des Jahres endet ein Stück Geschichte des Reisens: Die Deutsche Bahn stellt die Auto- und Nachtzüge ein. Endgültig? Vielleicht auch nicht, sagen die Betriebsräte Joachim Holstein (NGG) und Manuel Poblotzki (EVG). Denn: Diese Zuggattungen, sagen sie, haben Perspektive - sie werden von der DB bewusst schlecht gerechnet.
Im Herbst will die DB die Auto- und Nachtzüge einstellen. Wie ist konkret der Stand der Dinge?
Joachim: Mit den Autozügen ist im Oktober Schluss. Die beiden verbliebenen Linien Hamburg-Lörrach und Hamburg-München fahren Ende Oktober zum letzten Mal als DB-Autozüge. Die Nachtzüge sollen regulär zum Fahrplanwechsel im Dezember enden. Aber schon vorher werden einige ausgedünnt, z.B. indem man die Hälfte der Schlafwagen-kapazitäten wegnimmt. Begründet wird das damit, dass man mittlerweile nicht mehr genügend Mitarbeiter hat. Die über 300 Beschäftigten von DB ERS auf der Schiene werden ja schon seit Monaten massiv aufgefordert, sich für andere Unternehmen im Konzern und auch nach außerhalb zu bewerben. Inzwischen sind so viele weggegangen, dass überall Personalknappheit herrscht. Und die Kollegen, die geblieben sind, hängen wirklich in den Seilen, die machen Überstunden, fahren unterbesetzt, das geht auf keine Kuhhaut.
Manuel: Wenn es an Schlafwagen fehlt, müssen die Reisenden einen Downgrade hinnehmen, die Beschäftigten haben dadurch noch zusätzlichen Stress. Das ist insgesamt ein sehr trauriges Bild, das die Deutsche Bahn da abgibt.
Da kann man sich vorstellen, wie die Stimmung in der Belegschaft ist…
Joachim: Es herrscht große Enttäuschung, dass ein Produkt eingestellt wird, das von den Kunden hervorragend angenommen wird. Die Züge sind rappelvoll, kein Fahrgast versteht, warum Schluss gemacht wird. Extrem negativ wirkt sich auch aus, dass die Fahrzeuge nicht mehr gepflegt werden. Reparaturen werden nicht mehr durchgeführt, die Belieferung klappt nicht mehr. Manche Kolleginnen und Kollegen haben den Eindruck, als wolle der Konzern einem wirklich den Abschied vom Nachtzug vergällen.
Manuel: Man darf auch nicht vergessen, dass zunächst ja die Niederlassung Dortmund geschlossen wurde. Den Kolleginnen und Kollegen wurde das so verkauft, dass das der Rettung der DB ERS im Gesamten dienen würde. Und drei Monate später teilte die Geschäftsführung dann mit, dass beabsichtigt wird, das Geschäft ganz einzustellen. Das hat die Mitarbeiter, die vorher noch von Dortmund nach München oder Hamburg gewechselt sind, vor den Kopf gestoßen.
Wie sehen die Perspektiven für die Beschäftigten aus?
Manuel: In Dortmund sind viele Kollegen zum JobService gegangen. Aber ein Jahr später sind einige immer noch da, weil einfach die Jobs für eine Anschlussbeschäftigung nicht zur Verfügung stehen. Eine Alternative könnte sein, dass die österreichischen Bundesbahn ÖBB große Teile des Streckennetzes übernehmen und durch den Caterer NewRest betreuen möchte. Der Haken daran: Derzeit müssten die Kollegen dafür nach Wien wechseln. Und es ist nicht klar, wie lange der Vertrag mit NewRest laufen soll. Außerdem: Wenn man sich in den einschlägigen Internetportalen über dem Arbeitgeber NewRest informiert, wird da eher die Note mangelhaft vergeben.
Die Züge sind voll, aber die DB sagt: Auto- und Nachtzüge sind unwirtschaftlich. Wie entsteht dieser Widerspruch?
Joachim: Die Züge sind auf der Schiene profitabel, die roten Zahlen entstehen im Bahntower. So wissen wir z.B., dass die DB nur einen Teil der Reisendenzahlen publiziert. Sie spricht immer von 1,3 Millionen Reisenden – aber sie meint damit nur die in den Schlaf- und Liegewagen. Wir haben auch Sitzwagen, und hier ist die Zahl der Reisenden in den letzten Jahren auf 1,2 Millionen gestiegen. Die Gesamtzahl liegt also fast doppelt so hoch wie von der Bahn publiziert. Damit ist natürlich auch die Zahl der Personenkilometer viel höher – zumal die Reisenden in den Nachtzügen im Schnitt 2,4-mal so lange Strecken wie im ICE oder IC zurücklegen.
Manuel: Kolleginnen und Kollegen berichten auch immer wieder, dass Reisende am Bahnhof völlig überrascht sind, wenn sie feststellen, dass es doch noch einen City Night Line gibt. Im Internet war es schlichtweg nicht möglich, diese Züge zu buchen.
Joachim: Aktueller Fall: Es gibt derzeit Baustellen im Bereich Brenner, und dadurch haben sich die Fahrzeiten zwischen München und Rom verändert. Auf der Buchungsseite der DB hieß es: Der Zug ist vorübergehend nicht buchbar. Selbst Stammfahrer auf dieser Linie waren schon dabei, Flüge zu buchen. Diesen Gästen mussten wir sagen: Der Zug fährt sehr wohl. Das ist eine Methode, Gäste zu vertreiben. Eine andere erleben wir gerade mit dem Schweiz-Tourismus. Da gibt es eine Broschüre, in der aufgezeigt wird, wie man in die schöne Schweiz kommt, und es steht dort kein Wort über die Nachtzüge. Und auf Anfrage mehrerer Medien hat Schweiz-Tourismus gesagt: wir haben das abgedruckt, was die DB uns zur Verfügung gestellt hat. Und das halten wir für einen mittleren Skandal. So macht man ein Geschäft mutwillig kaputt.
Versteht ihr diese Strategie der Bahn?
Joachim: Verstehen im Sinne von Begreifen: Nein, absolut nicht. Die Bahn hat einen öffentlichen Auftrag. Verkehrsminister Dobrindt hat erst kürzlich gesagt, dass sie nicht möglichst viel Profit erwirtschaften, sondern möglichst viele Personen befördern soll. Dann ist das, was sich derzeit hier abspielt, indiskutabel. Auf einer anderen Ebene deutet sehr vieles, was DB-Manager von sich geben, darauf hin, dass einem dieses Produkt zu kompliziert vorkommt, dass man es nicht kann, dass man es nicht will. Die Österreicher schaffen es jede Nacht, Züge auseinander zu nehmen, neu zusammenzusetzen, um Kursgruppen zu bedienen – und die DB erklärt: Das passt nicht ins Schema. Kundeninteressen werden dabei völlig ignoriert. Die Zielgruppen, die bereit ist, das meiste Geld auszugeben, sind Geschäftsreisende, Politiker, Wissenschaftler. Für die ist Fliegen keine Alternative, aber die werden auch nicht mit einem ICE durch die Nacht fahren.
Manuel: Die Bahn soll endlich aufhören, sich kaputtzusparen. Nachtzüge sind ein sinnvolles Produkt, ein klimaverträgliches Produkt. Und die 35.000 Unterschriften für den Erhalt der Züge zeigen: Sie haben auch viele Fans.
Wie sehen derzeit die Perspektiven aus?
Joachim: Die ÖBB haben bisher durchblicken lassen, dass sie Linien übernehmen würden, die von Österreich aus fahrbar sind. Also z.B. München-Italien, Innsbruck-Düsseldorf. Andere Linien, z.B. nach Amsterdam, oder Köln-Berlin, können von Österreich aus personell nicht geleistet werden. Deshalb haben wir vorgeschlagen, dass DB und die ÖBB eine gemeinsame Tochter gründen, um den Nachtzugverkehr in Deutschland und die Nachbarländer weiterzuentwickeln. Es gibt Vorbilder: Der Hochgeschwindigkeitsverkehr mit Frankreich wird durch Alleo abgewickelt, ein Joint Venture der DB und der SNCF. Und der Nachtreisezug der ÖBB von Hamburg nach Wien: Er wird gezogen von einer österreichischen Lok, es folgt ein deutscher Sitzwagen und dann Liegewagen der ÖBB. Das funktioniert also. Und unser Ansatz ist, dass zwei Unternehmen, die so eng miteinander kooperieren, ihre Kapazitäten und ihr Know How zusammenwerfen sollten.
Manuel: Man darf auch nicht vergessen, dass wir in vier Jahren wieder eine Fußball-EM haben, aber dann eine, die nicht in einem Land, sondern in mehreren Ländern ausgetragen wird. Da braucht man ein vernünftiges Nachtzugnetz, um die Leute von einem Spiel in Bilbao zum nächsten in Kopenhagen zu bringen. Sollen die denn alle fliegen?
Joachim: Zu Beginn der Fußball-WM 2006 hatte ich den Zug von Paris nach Hamburg. Ich hatte argentinische Fans auf dem Weg zum Spiel ihrer Mannschaft, wir hatten Mexikaner, Franzosen, Fans aus Trinidad. Das war eine 1000 Kilometer lange Fanmeile!
Wie blickt ihr persönlich auf die Nachtzüge?
Manuel: Es ist eine schöne, eine entschleunigte Art zu reisen. Geschäftsreisende können den Nachtsprung nutzen, um sich auf das nächste Meeting vorzubereiten. Man merkt den Reisenden auch an, dass eine Reise im Nachtzug etwas anderes ist als eine ICE-Fahrt. Sie sind viel entspannter. Ich habe auch Reisende erlebt, die mit mir morgens nach Paris gefahren und abends wieder zurückgefahren sind. Also: Das Produkt ist konkurrenzfähig und ich habe die Hoffnung, dass sich die Bahn in puncto Nacht- und Autoreisezüge zurückbesinnt. Dass sie das kann, zeigen die Beispiele Speisewagen und BahnCard 50.
Joachim: Nachtzüge sind ideal für europäische Entfernungen von um die 1000 Kilometer. Am Tag sind solche Strecken nur mit vielen Umsteigeverbindungen zu schaffen. Damit treibt man die Leute nur ins Flugzeug. Das kann doch nicht das Europa des 21. Jahrhunderts sein! Und wenn es so sein soll, dass demnächst nur noch die Österreicher solche Züge anbieten, hoffe ich auch ein bisschen auf die Kunden: dass sie relativ deutlich sagen, dass sie ihre Züge wiederhaben wollen.