2019 wurde Gaby Bischoff erstmals ins Europäische Parlament gewählt, in diesem Jahr kandidiert sie erneut. Im EVG-Interview sagt die Sozialdemokratin und engagierte Gewerkschafterin (IG Metall), warum bei der EU-Wahl im Juni jede Stimme für demokratische Parteien wichtig ist.
Gabi, welche persönliche Bilanz ziehst du nach deinen ersten fünf Jahren im EU-Parlament?
Das waren herausfordernde Jahre. Wir waren kaum gewählt, da kam die Pandemie. Und als wir dachten, die sei überwunden, kam der Angriff auf die Ukraine. Und trotzdem würde ich sagen, auch aus der Perspektive einer Gewerkschafterin, dass wir in dieser Wahlperiode viel erreicht haben, um Arbeitnehmer:innen-Rechte zu stärken und Europa sozialer zu machen. Aber auch gleichstellungspolitisch haben wir einige wichtige Erfolge errungen.
Kannst du einige Beispiele nennen?
Ich hatte zwei Wunsch-Ausschüsse und die habe ich auch bekommen, den Beschäftigungs- und Sozialausschuss und den Verfassungsausschuss. Über den Sozialausschuss ist es gelungen, die sozialen Rechte von mobilen Beschäftigten zu stärken und Lohn- und Sozialdumping zu bekämpfen. So haben wir die Mindestlohn-Richtlinie durchgesetzt, von der Millionen Arbeitnehmende in Europa profitieren. Hier können wir wirklich genau zeigen, wo wir den Vorschlag der Kommission verbessert haben. Und im Verfassungsausschuss haben wir an Vertragsänderungen gearbeitet: Welche Kompetenzen braucht es, um wirklich ein starkes Europa zu haben. Wir sehen, dass was geht, wenn man Mehrheiten schaffen kann und wenn man tatsächlich auch eine Kommission hat, die auch in einzelnen Bereichen etwas voranbringen will. Da haben wir mit Nicolas Schmit wirklich einen hervorragenden Kommissar gehabt.
Du sagst also, im EU-Parlament können Verbesserungen für Arbeitnehmerrechte erreicht werden – viele Beschäftigte, auch Gewerkschaften, hadern ja manchmal mit Europa…
Ich hadere auch manchmal mit Europa, aber dann eher mit den Mitgliedsstaaten, die oftmals nur mit ihrem nationalstaatlichen Blick auf die Themen gucken. Wir als Parlament gucken da anders drauf. Ich meine aber auch, dass ich im Parlament von meinen jahrelangen Erfahrungen in Tarif-Verhandlungen profitiere. Auch da kommt man immer an einen Punkt, wo man sagt: Kann ich den Sack jetzt zu machen, ist da genug drin, dass ich das gut verkaufen kann?
In der Anti-Diskriminierungspolitik haben wir davon profitiert, dass Europa Deutschland mitgezogen hat.
Wie sieht denn eine typische Woche im Parlament aus?
Ich komme Montagfrüh aus Berlin nach Brüssel, in einer normalen Woche habe ich Ausschüsse, diese Woche haben wir Abstimmungen im Beschäftigungs-Ausschuss. Wir schließen derzeit viele Gesetzgebungen ab, dafür haben wir am Samstag noch bis 2 Uhr morgens verhandelt. Als Dauer-Berichterstatterin für die Geschäftsordnung hatte ich jetzt noch ein Gespräch mit der Präsidentin des Hauses, weil wir für die künftigen Abgeordneten verbindlich Trainings gegen Harassment vorschreiben wollen. Donnerstags fahre ich nach Hause und bin dann Freitag und oftmals auch am Samstag im Wahlkreis unterwegs.
Du sprachst die unterschiedlichen Tendenzen in den Mitgliedsländern an – ist das unter Parlamentarier:innen anders, insbesondere wenn du dir die Gewerkschaftsmitglieder anguckst?
Auf jeden Fall. Ich habe viele Kolleginnen und Kollegen wiedergetroffen, die ich aus dem EGB kenne. Da gibt es eine gute Allianz und wir vernetzen uns und treffen uns auch, wenn wir das Gefühl haben, wir müssen nochmal festlegen, wie wir unsere Punkte strategisch gut einbringen können. Da arbeiten wir auch fraktionsübergreifend zusammen. Das ist wichtig, um auch in anderen Fraktionen Anker setzen zu können. Das Parlament kann aber auch nur so gut sein, wie es die Gesellschaft in der Breite repräsentiert. Und da können wir besser werden. Wir haben auch noch viel zu wenig Frauen. Man sollte auch mehr Vielfalt haben, mehr Erfahrungen in den verschiedenen Branchen der Arbeitswelt.
„Frauen wählen“ lautet unser Motto zum 8. März – warum ist es speziell für Frauen wichtig, an der EU-Wahl teilzunehmen?
Gerade für Frauen ist das eminent wichtig, weil Deutschland, wenn wir es mit anderen europäischen Ländern vergleichen, gleichstellungspolitisch immer noch ein Stückweit Entwicklungsland ist. Bei der Lohndifferenz sind wir immer noch im hinteren Bereich geblieben. Auch in der Anti-Diskriminierungspolitik haben wir davon profitiert, dass Europa Deutschland mitgezogen hat. Mit großer Sorge blicke ich daher auf die Umfragewerte für die Parteien, die der EKR- und der ID-Fraktion* angehören. Die wollen gleichstellungspolitisch nicht nur alles verhindern, sondern die Uhr zurückdrehen. Wir dachten ja, was einmal gleichstellungspolitisch erkämpft war, das bleibt und bildet die Basis für weitere Fortschritte. Aber wir sehen in vielen Ländern in Europa, dass das auch wieder zurückgedreht werden kann. Das können wir nur verhindern, indem wir Mehrheiten für Frauenrechte schaffen. Denn andererseits waren es in Polen vor allem die Frauen und die jungen Menschen, die für den Regierungswechsel gesorgt haben.
Viele befürchten bei den anstehenden Wahlen einen Rechtsruck - wie siehst du das, was ist deine Vision von Europa?
Es gibt heute wahnsinnige globale Unsicherheiten, Kriege in Europa und in der direkten Nachbarschaft. Ich glaube, dass es in den nächsten Jahren vermehrt darauf ankommt, eine EU zu haben, die handlungsfähig ist und die mehr Sicherheit in einer immer unsicherer werdenden Welt schaffen kann. Dafür sind wir gut aufgestellt. Wir haben auch riesige Transformationen vor uns, deswegen ist für mich das Thema wichtig, wie wir Demokratie am Arbeitsplatz stärken, damit die Menschen ihre Zukunft mitgestalten können. Weil wir wissen, dass überall da, wo die Menschen das Gefühl haben, sie können mitgestalten und sind nicht nur ausgeliefert, auch das Vertrauen in die Demokratie viel größer ist.
• EKR = EU-Skeptiker, ID = Rechtsextreme und -populisten