Im Vorfeld der Europawahlen 2014 gingen sie auf „Eurorail-Tour“: Sieben junge EVG-Kolleginnen und -Kollegen besuchten, aufgeteilt auf zwei Teams, alle Mitgliedsstaaten der EU – ausschließlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Sie trafen Gewerkschafter/innen und Eisenbahner/ innen aus 27 Ländern. Wir haben, genau fünf Jahre nach der Tour, drei von ihnen gefragt: Wie hat sich Dein Blick auf „Europa“ durch die Tour verändert?
In den verschiedenen Ländern sprachen wir mit Gewerkschaftler/innen aus dem Eisenbahnsektor über die Vor- und Nachteile, die unser (Arbeits-)Leben als Europäer verändert haben. In Bulgarien berichteten uns die Kolleg/innen, wie EU- Mittel genutzt werden, um die Infrastruktur des Landes auszubauen; in Griechenland wollten junge Student/innen die Wohn- und Arbeitsfreiheit nach ihrem Abschluss nutzen, um trotz der damaligen Griechenlandkrise Arbeit zu finden; und in Portugal gab es große Bedenken nach der Übernahme einer staatlichen Bahnstrecke durch einen privaten Anbieter, da sich die Arbeitsbedingungen massiv verschlechterten. Mir hat die Eurorailtour gezeigt, dass uns die Europäische Union viel gebracht hat, es aber immer Herausforderungen geben wird.
Heute stehen wir vor neuen Herausforderungen, wie der bevorstehende Brexit oder ein Rechtsruck Europas.
Vor fünf Jahren war es die Eurokrise und das vierte Eisenbahnpaket. Gemeinsam mit anderen Eisenbahngewerkschaften konnten wir damals unseren Standpunkt als Eisenbahner in Straßburg zum Ausdruck bringen und die Trennung von Netz und Betrieb verhindern. Heute stehen wir vor neuen Herausforderungen, wie der bevorstehende Brexit oder ein Rechtsruck Europas. Ich selbst profitiere bei Reisen in der Europäischen Union, wenn ich an den Grenzen nicht mehr im Stau stehe, im Ausland ohne Aufpreis mit meinem Handy telefonieren kann oder in vielen Ländern kein Geld zum Bezahlen tauschen muss. Die Erfahrungen durch die Eurorailtour haben dazu geführt, dass ich die Veränderungen durch die EU bewusster wahrnehme. Die Richtung, welche die Europäische Union in den nächsten fünf Jahren einschlagen wird, entscheiden die Bürger/innen.
Wir reisten damals zu viert durch Südeuropa, um mit unseren europäischen Eisenbahnkolleg/innen über das aktuelle Eisenbahnpaket zu diskutieren. Das prägendste Erlebnis war unser Stopp in Lissabon. Portugal war damals mitten in der Eurokrise gefangen und die Arbeitslosenzahlen so hoch wie nie zuvor. Auf den Straßen war mehr Armut zu erleben als unser deutsches Vorstellungsvermögen bisher verarbeiten konnte. Die Eisenbahn sollte komplett privatisiert werden, um noch Kohle für die Schuldentilgung locker zu machen. Wie immer eine dumme Idee. Unsere Eisenbahnschwestern und -brüder luden uns direkt am zweiten Tag zu einer Protestkundgebung auf den Straßen Lissabons ein; wir zögerten keine Sekunde und waren mit Fahnen und Pfeifen dabei.
Die Eisenbahn sollte komplett privatisiert werden, um noch Kohle für die Schuldentilgung locker zu machen. Wie immer eine dumme Idee.
In vielen Gesprächen an diesen Tag wurde mir bewusst, dass es keine Verzweiflung bei den Menschen gab, sondern eher die Hoffnung, genau in diesen harten Zeiten eine Veränderung erreichen zu können. Diese Energie nehme ich bis heute mit in meine tägliche Arbeit in Deutschland und kann meinen Freunden in Portugal und ganz Europa nur Danke sagen. Mit besonderen Grüßen an Carlos in Portugal!
Als wir im Jahr 2014 viele europäische Eisenbahner-Kolleginnen und -Kollegen bereist haben, um uns ein Stimmungsbild vor den damaligen Europawahlen einzufangen, war man sich größtenteils einig, dass eine Europäische Union richtig und vor allem sehr wichtig sei. Allerdings erhielten wir vielerorts ebenso den Eindruck, dass eine EU oftmals nur „auf dem Papier“ existiert und in vielen Bereichen eine tatsächliche Zusammenarbeit fehlt. Meiner Meinung nach hat sich dieser Zustand bis heute kaum verändert, wenn nicht sogar verschlimmert.
Menschen ertrinken zu hunderten und tausenden im Mittelmeer, weil der politische Ruf einzelner sowie Diskussionen über „Verteilungsschlüssel“ wichtiger sind als schlicht und ergreifend Menschenleben zu retten.
Rechte Parteien erleben Aufschwünge und werden in Parlamente gewählt, Länder schotten sich bei Themen ab, wo es auf eine solidarische europäische Gemeinschaft ankäme - und Menschen ertrinken zu hunderten und tausenden im Mittelmeer, weil der politische Ruf einzelner sowie Diskussionen über „Verteilungsschlüssel“ wichtiger sind als schlicht und ergreifend Menschenleben zu retten. Die europäischen Bürger haben es in der Hand, mit ihrer Stimme bei den Europawahlen die aktuellen Zustände zu verändern, für mehr Humanität, gegen Rassismus und um Grenzen abzubauen.