// Ein Bericht von Doreen Hedt, Teilnehmerin aus der OFL Stuttgart //
Vom 12.-16.09.2022 nahm ich an einem Seminar der EVG-Frauen auf dem Gelände des ehem. Frauen-KZ Ravensbrück bei Fürstenberg/Havel teil, mit mir 13 Frauen aus der ganzen Republik. Unter uns waren viele, die schon einmal dort gewesen waren und einige „Neue“.
Nach der Woche wurde auch klar, warum manche das zweite Mal teilnahmen: Die Lebensgeschichten und Erfahrungsberichte von Opfern und Täter:innen, die Topografie des KZ Ravensbrück und der umliegenden beiden weiteren Lager (das Siemenslager und das Jugendlager KZ Uckermark) und daraus resultierende Fragen sind schlichtweg zu umfangreich und nicht in einer Seminarwoche „abzuarbeiten“.
Die Gedenkkultur nach 1945 und die Veränderungen im Laufe der Jahre wurden oft thematisiert und diskutiert. Das Gedenken an die inhaftierten und ermordeten Frauen aller Nationen, Zwangsarbeiter:innen (inkl. dem kleinen Männerlager) , ebenso das Gedenken an Opfergruppen, die bis vor Kurzem noch tabuisiert und nicht bzw. nur wenig in der Aufarbeitung der Geschichte erwähnt wurden, so wie z.B. die Zwangsprostituierten in den SS- und KZ-Bordellen und die lesbischen Frauen. Da ist noch sehr viel Recherche-Arbeit seitens der Historiker:innen nötig. Die Sichtweise in der DDR war auch eine andere als in der Bundesrepublik. Während im Westen häufig die Beteiligten am Widerstand des 20. Juli 1944 oder die Gruppe um Sophie Scholl im Mittelpunkt standen, wurde der Fokus mehr auf die kommunistische Opfergruppe gelegt. Mittlerweile wird versucht, alle Opfer ins Gedenken einzubeziehen. Dies ist eine Mammutaufgabe, da hierfür nur geringe finanzielle und personelle Mittel zur Verfügung stehen und mittlerweile die Zeitzeug:innen verstorbenen sind.
Nach der Lagerbefreiung durch die sowjetische Rote Armee im April 1945, wurden viele Gebäude und große Teile des Geländes bis in die 90er Jahre umgewidmet (hauptsächlich als Werkstatt für Fahrzeuge und Panzer der Roten Armee und Lager). Bauliche Veränderungen erschwerten die Unterscheidung, was ist jetzt original aus der Nazi-Zeit erhalten und was ist sowjetischer Bauart.
Puzzleteil zu Puzzleteil fügte sich mit jedem Seminartag zusammen. Egal ob bei der Besichtigung des Zellentraktes und des Krematoriums, der Hauptausstellung im Gebäude der Kommandantur, der Wohnhäuser der Aufseherinnen (der heutigen Jugendherberge und Seminarort), dem „Führerhaus“, in dem Lagerkommandant wohnte und nebenan weitere drei Familien der obersten SS-Angehörigen des Lagers. Sie lebten dort auf einer kleinen Anhöhe, immer mit Blick auf das Lager und auf die Straße, auf den Weg, den die Frauen bei der Ankunft, meist schongeschwächt vom Bahn-Transport, vom Bahnhof Fürstenberg/Havel zu Fuß ins Lager bewältigen mussten, vorbei an den Wohnhäusern der Fürstenberger und dem idyllischen Schwedtsee.
Wir betrachteten in unserem Seminar die Rollen von Frauen als Opfer und Täterinnen, wobei manchmal die Grenzen verschwammen. Ein großes Thema im KZ Ravensbrück war die Zwangsarbeit im Lager, die SS-eigene Fa. Texled baute z.B. mitten im Lager einen riesigen textilverarbeitendes Komplex auf (Schneiderei, Kürschnerei, Reißerei…), in dem die Frauen unter miserablen Bedingungen und natürlich bei Anwendung von Prügelstrafen schuften mussten.
Im Laufe der Jahre 1939 -1945 veränderten sich die Häftlingsgruppen und die Anzahl stieg ungemein, gerade ab 1944, so dass mehrere Frauen sich eine Schlafstelle teilen mussten und die hygienischen Bedingungen unerträglich waren. Trotz allem organisierte sich der Widerstand, besonders auch aus der Gruppe der französischen „Nacht-und Nebel“-Häftlinge und der deutschsprachigen politischen Gefangenen.
Sehr betroffen machte uns auch die Geschichte des riesigen Zeltes, das 1944 aufgestellt wurde. Wegen Überfüllung des Stammlagers, z.B. aufgrund der Rückführung von Frauen aus Auschwitz und der Verhaftung der Warschauer und ungarischen Frauen, gab es keinen Platz mehr in den Holzbaracken. In dem Zelt waren bis zu 4.000 Häftlinge eingepfercht, die unter unvorstellbaren Bedingungen dort zu überleben versuchten. Viele dieser Frauen sind gestorben oder wurden von der SS getötet.
Eine große Opfergruppe stellten im Lager die sogenannten „Asozialen“. Aus heutiger Perspektive fiel fast jede als selbstbestimmt lebende Frau darunter. Frauen, die abgetrieben haben oder die gerne ausgingen und feierten oder nicht früh heiraten wollten, Prostituierte und „Arbeitsscheue“ oder ganz einfach Frauen, die den Vorstellungen des NS-Männerregimes nicht entsprachen, wurden schnell als „asozial“ abgestempelt und ins Lager verschleppt.
Eine weitere große Opfergruppe waren die „Bibelforscherinnen“ (Zeugen Jehovas). Diese wurden häufig zu Arbeiten in den Haushalten herangezogen, da sie aus Sicht der SS aufgrund ihrer Religion nicht flohen und gehorsam waren. Sie kamen ins Lager, weil sie den Hitlergruß verweigerten oder ihre männlichen Angehörigen den Wehrdienst.
Ein noch wenig erforschtes Thema ist das KZ Uckermark, unweit des Stammlagers gelegen, welches aufgrund von Initiativen von Vereinen wieder sichtbar gemacht wurde. Hier waren junge Frauen im Alter von 14-25 Jahren inhaftiert und mussten Zwangsarbeit leisten, u.a. für die Fa. Siemens. Zum Kriegsende wurde dieses Lager auch als Sterbelager genutzt, um gezielt Tötungen vorzunehmen.
Das andere außerhalb des Ravensbrücker Stammlagers gelegene Lager war das Siemenslager. Eigens für die Zwangsarbeit dort wurden für die Fa. Siemens mehrere Werkshallen und Baracken für die Häftlinge errichtet. Heute sind noch einige Fundamente zu sehen. Leider sind im Laufe der letzten Jahrzehnte viele Bereiche des gesamten Lagergeländes wieder zugewachsen und noch bestehende Gebäude verfallen. Man muss viel Fantasie aufbringen, um sich vorzustellen, wie es einmal dort ausgesehen haben musste.
Auch die Fürstenberger Firmen und Großbauern profitierten von den KZ-Häftlingen und deren Zwangsarbeit. Sie belieferten das KZ mit Lebensmittel und Materialien oder Handwerker und Firmen erhielten dort Aufträge, z.B. von der Bauleitung. Über den Schwedtsee war das Lager gut zu sehen. Die Wohnhäuser der SS und die Häuser der Aufseherinnen waren ebenso zu erkennen wie der rauchende Schornstein des Krematoriums, die hohe Lagermauer oder der tägliche Zug der Zwangsarbeiterinnen an dieser vorbei rüber zum Siemenswerk. „Haben die Fürstenberger:innen auch die Schreie der Häftlinge und das Gebrüll der Aufseherinnen gehört?“, diese Frage stellte sich mir. Es kann also kaum jemand von der damaligen ortsansässigen Bevölkerung sagen, sie hätten nicht von dem Lager gewusst!
Von der Lagerseite aus konnte der Ort Fürstenberg am anderen Ufer, so wie heute noch, gut gesehen werden inkl. der imposanten Stadtkirche und des Schilfufers des Schwedtsees. Diese Idylle auf der einen Seite und die Hölle auf der anderen. Wie mag dies auf die Häftlinge gewirkt haben?
Intensiv betrachteten wir die Herkunft der Aufseherinnen und ihre Motivation zur Aufnahme dieser Arbeit und die Hierarchien im Lager (männliche Vorgesetzte). Wir zeigten Parallelen zu Rollen in der heutigen Zeit auf (Mutter / Hausfrau / Führungsrollen im Job / negative Entwicklung hinsichtl. Frauenrechten, z.B. Abtreibungsrecht in Ungarn, Polen, USA).
Im Unterschied zu anderen Gedenkstätten ist das riesige Außengelände des KZ Ravensbrück teilweise noch zugänglich und nicht immer abgesperrt, so dass jede Teilnehmerin individuell noch eigene Erkundungen anstellen konnte. Sehr interessant war den ehemaligen SS-Bauhof (heute ein privater Schrotthandel) oder eine noch erhaltene Holzbaracke der Tischlerei der DAW (Deutsche Ausrüstungswerke), in der z.B. auch Möbel für die SS-Wohnungen gefertigt wurden, zu entdecken. In unmittelbarer Nähe ist noch das stark verfallene SS-Kinderheim zu finden. Hier wurden die kleinen Kinder der KZ-Aufseherinnen betreut. Die größeren Kinder gingen in Fürstenberg zur Schule.
Uns wurde genügend Raum für eigene Erkundungen gegeben und auch die Erfahrungsberichte aus den Familiengeschichten teilnehmender Frauen bewegten und beschäftigten uns alle sehr, ganz besonders das Massaker im tschechischen Lidice, bei dem alle männlichen Bewohnern ab 15 Jahren umgebracht wurden, die Frauen ins KZ-Ravensbrück verschleppt und die meisten Kinder im KZ Chelmno (Kulmhof) vergast wurden.
Diese Woche war sehr wertvoll für mich und muss im Nachgang erstmal in Ruhe verarbeitet werden.
Vielen Dank auch an Angelika Meyer vom pädagogischen Dienst der Gedenkstätte, die sehr gut durch die Ausstellungen führte und uns immer mit Hintergrundinfos versorgte. Dank auch an unsere Seminarleiterin Erika Albers, die immer geduldig auf unsere Fragen und Wünsche einging und versuchte, alle z.T. auch unterschiedlichen Interessen unter einen Hut zu bringen. Ein weiterer Dank geht an Jitka, Angela und Heidi für ihre Erfahrungen und Familiengeschichten, die sie mit mir und den anderen Teilnehmerinnen geteilt haben.