Eine Zahl des Schreckens: Jede dritte Frau auf der Welt wird Opfer von, oftmals sexualisierter, Gewalt. Am heutigen One Billion Rising Day machen wir darauf aufmerksam. Das Thema beschäftigt uns aber leider an allen 365 Tagen im Jahr. Dazu haben wir mit zwei engagierten Kolleginnen gesprochen: Monika Reinhardt und Nicole Krull.
Monika, Nicole, was hat euch dazu bewegt, euch intensiv mit dem Thema Gewalt gegen Frauen auseinander zu setzen?
Nicole: Ich habe einige Jahre in der Rechtsmedizin gearbeitet und wurde dort in voller Härte mit dem konfrontiert, was Frauen tagtäglich an Gewalt erleben müssen. Man unterschätzt die Not der Frauen leicht, weil die Thematik mit Scham behaftet ist und die Frauen, oft auch aus Selbstschutz, keine Hilfe suchen. Es ist unfassbar wichtig, das Thema aus der „dunklen Ecke“ zu holen, denn Gewalt gegen Frauen, physisch und psychisch, ist kein Randgruppenproblem, sondern überall in unserer Gesellschaft vertreten.
Monika: Es ist wahrscheinlich eine Mischung daraus, dass ich als Schwerbehindertenvertreterin der DB Gastronomie GmbH weiß, was es bedeutet, für individuelles Interesse zu kämpfen und dass ich selbst als Kind / Jugendliche Gewalt erfahren musste. Deshalb bin ich bei dem Thema „Gewalt gegen Frauen” sehr sensibel. Vor allem im ersten Jahr der Pandemie habe ich die Medienbeiträge zum Thema bewusster wahrgenommen als vorher. Das hing wahrscheinlich mit dem Lockdown zusammen. Mir sind immer wieder Beiträge aufgefallen, in denen Prominente und Politiker ganz klar Position bezogen haben. Spätestens am 25. November 2020 habe ich deutlich wahrgenommen, welche Aktionen bundesweit zu dem Thema umgesetzt wurden. Das war für mich der Punkt, dass ich mir gesagt habe: „Du kannst nicht mehr auf dem Sofa sitzen bleiben, Du musst auch etwas machen.“ Ich bin seit knapp 22 Jahren im DB-Konzern. Durch meine Tätigkeiten habe ich schon viel hinter die Kulissen schauen dürfen. Die DB AG ist ein bunter und sozialer Konzern und aus diesem Grund muss dieses Thema hier eingebracht werden.
Es ist unfassbar wichtig, das Thema aus der ‚dunklen Ecke‘ zu holen.
Was habt ihr zum letzten Aktionstag im November zu dem Thema bewegt?
Monika: „Gewalt kommt nicht in die Tüte“. Als Initiatorin habe ich eine bundesweite Kampagne ins Leben gerufen. Es geht darum auf die Gewalt gegenüber Frauen und jungen Mädchen aufmerksam zu machen und diese Taten nicht zu tolerieren. Aufstehen, Flagge zeigen und reagieren. „Null Toleranz gegenüber Gewalt an Frauen“!
Der Aufbau meiner Netzwerkpartner in den vergangenen Jahren hat sich hier ausgezahlt. Überall, wo ich angeklopft habe, wurde mir die Tür sehr weit geöffnet. Hans-Hilmar Rischke, Leiter der Konzernsicherheit der DB AG, hat sich sofort bereit erklärt die Schirmherrschaft für die Kampagne zu übernehmen. Sein Team des Bedrohungsmanagements hat mich in meiner Grundidee von Anfang bis zum Ende vollends unterstützt. Wir haben Netzwerke aufgebaut, die uns bis heute unterstützen. Eine eigene Seite auf dem DB Planet, die Aufklärungsarbeit, Netzwerke und Ansprechpartner intern bis extern zur Verfügung stellt, sowie weitere Kampagnen aufzeigt, wurde zum 25. November 2021, dem internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt an Frauen und jugendlichen Mädchen, freigeschaltet.
Weiter hat die DB AG wortwörtlich Flagge gezeigt. Es wurden rund um den 25. November Flaggen des „Hilfetelefon- Gewalt gegen Frauen“ am Berliner Hauptbahnhof gehisst. Informationsmaterial des Hilfetelefons wurden großflächig für Fahrgäste ausgelegt. Aus Gründen der Pandemie mussten wir leider kurzfristig die persönliche Unterstützung und Aufklärungsarbeit vor Ort absagen.
Große Unterstützung bekam die Kampagne zusätzlich von unserem Sozialpartner der Stiftungsfamilie BSW& EWH. Sie haben ihre Sozialberatung ebenfalls auf das Thema Gewalt angepasst und stehen den Betroffenen jederzeit als außerbetrieblicher Partner der DB AG zur Seite. Selbstverständlich hat auch die EVG meine Kampagne unterstützt. Noch heute sind wir dazu im engen Kontakt.
Nicole: Im Arbeitskreis zum Tag gegen Gewalt gegen Frauen haben wir eine tolle Onlineveranstaltung organisiert, auf der eine Sprecherin der Zentralen Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser einen tiefen Einblick in die Arbeit in den Frauenhäusern gegeben hat. Ich denke, dass der Vortrag noch einmal dazu beigetragen hat, den Blick zu schärfen, auch auf die Probleme, die sich in der Überlastung der Anlaufstellen für betroffene Frauen ergeben. Wir haben für Aufmerksamkeit gesorgt, dies ganz besonders auch mit der Foto- und Videoaktion in den sozialen Medien und auf den Seiten der EVG. Dies und eine klare Positionierung gegen Gewalt gegen Frauen sind wichtige Schritte um gesellschaftlich und gesetzlich eine Veränderung zu bewirken.
Aufstehen, Flagge zeigen und reagieren. ‚Null Toleranz gegenüber Gewalt an Frauen‘!
Was braucht es aus eurer Sicht an Veränderungen und Maßnahmen, um Gewalt gegen Frauen zu verhindern?
Monika: „Tu Gutes und sprich drüber!“ Wir müssen einfach nur handeln. Es wurde lang genug weggeschaut und ignoriert. Das muss ein Ende haben. Die EVG ist bereits seit langem sehr engagiert und hat mit der politischen Ebene dazu Gespräche begonnen. Selbiges tat ich mit dem Vorstand der DB AG. Martin Seiler, Vorstand Personal und Recht der DB AG, unterstützt meine Kampagne.
Wenn wir Dinge ändern wollen, müssen wir etwas bewegen. Und die ersten Schritte sind getan. Nun dürfen wir nur nicht stehen bleiben. Die Deutsche Bahn AG hat öffentlich einen weiteren Schritt getätigt. Die „Gemeinsame Erklärung gegen Sexismus und sexuelle Gewalt“ wurde im vergangenen Jahr vom Bundesfamilienministerium ins Leben gerufen. Diese Erklärung unterzeichnet eine klare Haltung gegenüber dem Themenbereich. Und zur Unterzeichnung sind auch die Arbeitgebenden aufgerufen. Stellvertretend für die Deutsche Bahn AG haben Frau Susanne Küspert, Leiterin Personalstrategie & Diversity sowie Martin Seiler, Vorstand Personal und Recht diese Erklärung unterzeichnet.
Auch die Kampagne „Gewalt kommt nicht in die Tüte“ ist nachhaltig. Weitere Aktionen für das Jahr 2022 sind in Planung. Je mehr sich an solchen Aktionen beteiligen, desto eher ist ein Erfolg zu erreichen.
Nicole: Die grundsätzlichste Aufgabe besteht darin, Aufmerksamkeit zu schaffen. Es darf nicht sein, dass die Gesellschaft die Augen verschließt, um sich nicht mit dem unangenehmen Thema beschäftigen zu müssen. Den Frauen muss Gehör verschafft werden, Anlaufstellen für Hilfsangebote müssen transparent und jederzeit ohne Einschränkungen zugänglich sein. Und vor allem müssen die Täter adäquat bestraft und abgeschreckt werden, Gewalt gegen Frauen darf kein Kavaliersdelikt sein. Hier ist es aus meiner Sicht auch notwendig die Menschen für die kleinen, alltäglichen Gewalttaten zu sensibilisieren und entsprechende Taten keinesfalls zu bagatellisieren. Eine Ohrfeige ist Gewalt, kein „Ausrutscher“.
Monika Reinhardt ist Schwerbehindertenvertreterin bei der DB Gastronomie in Neumünster, Nicole Krull ist Sekretärin des Betriebsrates der DB Netz AG in Schwerin.