Zukunft hat Vergangenheit. Eisenbahn hier – Unterdrückung da. Kapitalismus und Industrialisierung (1835 – 1890)
Wie es begann? Die Erfindung der Dampfmaschine und der auch wirtschaftliche Ruf nach „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ waren die Paten der europäischen Industrialisierung. Dann bedingten Industrialisierung und Eisenbahnen jeweils einander;
Industrie- und Eisenbahnzeitalter wurden identisch. Der nun endende Feudalismus setzte die Menschen massenhaft frei, sie drängten auch zum Bau und zum Betrieb der neuen Bahnen. Dabei herrschte Unterdrückung im Allgemeinen und bei den Bahnen im Besonderen.
Aufstände der Eisenbahner in diesen frühen Jahren der Bahn gegen die Obrigkeit halfen den Menschen wenig. Die Bahnen im Kaiserreich diktierten den militärischen und polizeilichen Herrn im Hause. Das rigorose Obrigkeitsdenken wirkte im Bahnbetrieb ein Jahrhundert lang nach, bevor demokratische Strukturen mit Mit- und Selbstbestimmung schrittweise wachsen konnten. Dennoch wuchs der Kampf mutiger Eisenbahner gegen Verbote und Unterwerfung ständig.
Nach der Zerschlagung der Pauls- Kirchen- Bewegung suchten viele Anhänger in geheimen Gesellschaften, im Ausland aber auch in der Heimat in Gesang- und Geselligkeitsvereinen – von der Polizei ständig beargwöhnt – den Zusammenhalt zu wahren.
Anfang 1860 gab es eine neue Welle nationaler Begeisterung, angefacht auch durch die Einigungsbewegung in Italien. In Frankfurt wurde 1859 ein „Nationalverein“ gegründet, unter dessen Schirm sich auch demokratisch gesinnte Eisenbahner versammelten.
Der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein (ADAV), den Ferdinand Lassalle im Jahr 1863 gründete, leitete eine neue Epoche der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte in Deutschland ein.
Doch zurück zu den frühen Anfängen unserer Eisenbahngeschichte.
Aller Beginn der Eisenbahn war der Bahnbau. Zuweilen waren in ihm doppelt so viele Menschen beschäftigt wie im Eisenbahnunternehmen selber. Nebst Werkzeug waren Muskeln mitzubringen von den freigewordenen Leibeigenen, den ziehenden Landarbeitern, den neuzeitlichen Landsknechten. 14 Tagesstunden, 7mal die Woche, war die Kondition. 12 Groschen Tageslohn, bei dem 3 fürs Mittagessen abgezogen wurden. Und wer nicht spurte, der flog. Demonstrationen und lokale Streiks waren schnell mit Polizeigewalt unterdrückt, Vorstöße gegen die stets einseitig vom Unternehmen gesetzten Regeln kriminalisiert.
Frauen und Bahnbau
Fast vergessen in der Sozialgeschichte der frühen Industrialisierung ist die Rolle von Frauen im Bahnbau. Von Anbeginn fanden Landarbeiterinnen und Dienstbotinnen Arbeit beim wahrlich schweren Gleisbau. Die Handarbeitsordnung von 1847 regelte ausdrücklich die Arbeit der Frauen beim Gleisbau: sie sollten nur ausnahmsweise und nur an gesonderten Arbeitsstellen beschäftigt werden, denn die Zulassung am Bau wurde selbstredend als moralisch bedenklich eingestuft! Eine ‚liederliche Weibsperson‘ sollte allemal vom Eisenbahnbau ferngehalten werden.
Wahrhaftiger waren die Bayern, indem sie Frauen deshalb zuließen, weil sie fleißiger seien als Männer und diese Kleider und Wäsche in gutem Zustand hielten! So arbeiteten hier ganze Familien zusammen beim Bahnbau.
Baut Eisenbahnen, keine Festungen
Der Prozess des rasanten Eisenbahnbaus und Eisenbahnbetriebs einerseits, wie die maximale Ausbeutung des Eisenbahnpersonals andererseits, wurde mit der Reichsgründung 1871 weiter erhöht.
Der gewonnene Krieg des reaktionären Preußens gegen Frankreich und den nach Deutschland geflossenen Milliarden-Reparationen hatte nicht nur die Industrialisierung mit Bahnbau hoch gepuscht, sondern direkt in eine Hochrüstung zu Land und im Flottenbau geführt.
Die jetzt kaiserliche Antwort an das immer aufmüpfigere Arbeitsvolk war das so genannte Sozialistengesetz von 1878 bis 1890, das alle Vereinigungen der Gewerkschaften und der Sozialdemokratie verbot und Neugründungen gleich illegal stellte.
Die Auspressung wuchs so stark wie die Profite stiegen.
In dieser Phase bot Reichskanzler Bismarck neben der Peitsche Zuckerbrot für alle.
Das deutsche Sozialsystem mit paritätischen Beiträgen der Arbeitgeber wie Beschäftigten wurde als Notbremse gegen Gewerkschaften und Sozialdemokraten geschaffen.
Die Bestrebungen der Eisenbahner sich zu vereinigen waren schon weit vor der Gründung im Jahre 1896 vorhanden und zwar unabhängig voneinander in den verschiedenen Städten Deutschlands. Rückwirkend kann bis zum Jahr 1865 nachgewiesen werden, dass sich die Eisenbahner an verschiedenen Plätzen zur Wahrung ihrer Interessen versammelt haben. Es wurden energische Forderungen vorgebracht, Petitionen in Umlauf gesetzt und mehrfach die Arbeit eingestellt. So besonders in Hamburg 1865 sowie Anfang der 1870er Jahre wie auch in den 1880er und 1890er Jahren. In Halle war im Jahr 1889 eine lebhafte Bewegung unter den Eisenbahnern. Es kam zu Arbeitseinstellungen der Rangierer die bewirkte, dass ihnen die vorenthaltene Lohnerhöhung sofort gezahlt wurde.
Seit 1890 entwickelten sich das Vereinsleben und die Gründung von Berufsverbänden kontinuierlich. Dieses Bestreben war auch unter den Eisenbahnern stark vertreten.
Jedoch auch nur der geringste Vorstoß wurde von den Verwaltungen unter Zuhilfenahme der Öffentlichkeit sofort unterbunden und mit drastischen Bestrafungen bis zum Hinauswurf geahndet. Nicht nur in Hamburg, Berlin und Halle, sondern auch in Magdeburg. Dort wurde Pfingsten 1890 ein vorgesehener Kongress der Eisenbahner schon Wochen vorher von den Verwaltungen, Behörden und der Presse so denunziert, dass es nur Wenige wagten teilzunehmen. Dies war das letzte Lebenszeichen der 1890er Eisenbahnerbewegung in Magdeburg.
1890 demonstrierten vornehmlich Werkstätten-Arbeiter. Später griff die Bewegung auf das Fahrpersonal und die Güterbodenarbeiter über, bis es schließlich 1896 zu dem Verein zur Wahrung der Interessen der Eisenbahnarbeiter von Halle und Umgebung kam. Nach Ansicht der Direktion Halle war die Huldigung gewerkschaftlicher Bestrebungen mit der Stellung eines Eisenbahners nicht vereinbar. Sie warf die leitenden Personen des Vereins, trotz 10jähriger und längerer straffreier Dienstzeit auf die Straße und drohte jedem, der noch länger dem Verein angehört mit demselben Schicksal. Die Folge war, der Verein ging unter.
Um 1896 bildeten sich weitere Vereinigungen der Eisenbahner, die jedoch mehr oder weniger Unterstützungsvereine und keine Gewerkschaften waren.
Am 22. Juli 1894 vollzog sich in Trier mit einem dreifachen Hoch auf den Kaiser und vom zuständigen Bischof inszeniert die Konstituierung des Verbandes Deutscher Eisenbahn- Handwerker und -Arbeiter. Er war nicht gewerkschaftlich konzipiert und deshalb aus Sicht des Hamburger Verbandes ein Spaltpilz.
Die besondere Lage der sächsischen Eisenbahner
Die Lage Sachsens und die Eisenbahnpolitik des Landes begünstigten eine selbständige Bewegung unter den dortigen Eisenbahnern.
Besonders die Dresdener Eisenbahner marschierten um 1890 mit Umsicht und Energie an der Spitze der Bewegung. Die Eisenbahnverwaltung war diesem Vorgehen nicht gewachsen und kam deshalb den Arbeitern entgegen. Sie stellte die gröbsten Missstände ab, besserte Löhne auf und – entließ gleichzeitig die „Ruhestörer“.
1892 kam es wiederum zu ernsten Auseinandersetzungen. Um eine nachhaltige Wirkung auf die Verwaltung zu erreichen beschlossen die Dresdener, Leipziger und Chemnitzer Eisenbahnbediensteten an einem Tag die Arbeit im größeren Umfang einzustellen. So wurden der Verwaltung weitere Zugeständnisse abgetrotzt. Später wurden Petitionen an den Landtag gerichtet, damit auch den Beamten eine Teuerungszulage und Gehaltserhöhungen gewährt würde. Dies wurde auch zugesagt und gewährt. Bei näherer Betrachtung stellte sich heraus, dass mit der Erhöhung gleichzeitig wesentliche Verschlechterungen der dienstlichen Verhältnisse kamen, von denen die unteren Beamten die Hauptlast zu tragen hatten. Die Arbeiter fassten darauf im Jahre 1892 den Plan, eine Vereinigung zu schaffen und über einen Aufruf die breite Öffentlichkeit zu informieren:
„...Seht, und wir, die Geächteten in unserem Gewerbe, aus denen der größte Teil des Millionensegens gepresst wird, sollen uns zufrieden mit dem brutalen Zurückgestoßen-Werden abfinden und uns ohne Murren fast als Tiere behandeln lassen. Unsere Lebenshaltung soll auf der niedrigsten Stufe stehen bleiben. ...“
„ ...Kameraden! Wäre es in Anbetracht dieser unserer traurigen Lage nicht unsere Pflicht, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um diesen unwürdigen Zuständen ein Ende zu machen?
Betrachtet doch einmal Eure Lage! Ist sie denn so glänzend, ist die Fürsorge und das Wohlwollen in Wirklichkeit so groß, dass Ihr weiter träumen könnt, dass Ihr Euch mit den gegebenen Verhältnissen zufriedengeben könnt? Ist es denn wirklich dem bisschen Flittergold möglich, die Not und das Elend so zu verdecken, dass sie nicht erkannt werden können?
Ist denn nicht unsere Arbeit eine der gefährlichsten? Öffnen Euch nicht die Statistiken die Augen? Seht Ihr nicht die Krüppel unter uns? Bergen nicht die Friedhöfe genügend zerrissene Körper?
Ist es Euch noch nicht zur Erkenntnis gekommen, dass die überlange Arbeitszeit der hauptsächlichste Grund aller dieser schrecklichen Vorkommnisse ist? Arbeitet Ihr freiwillig 16, 20 Stunden und mehr? Seht Ihr es nicht, dass man Euch selbst noch die abgenagten Knochen, die man Euch vorwirft missgönnt?“
„ ...Leistet Ihr nicht zu vielen freien Ruhepausen und Festzeiten Arbeit, die fast gar nicht bezahlt wird? Sind Euch für diese Mehrleistung sechs Pfennige Stundenlohn genügend? Wisst Ihr es nicht, dass man Euch die zugesicherte Alterszulage vorenthält? Fühlt Ihr nicht das himmelschreiende Unrecht?“
„...Wäre es da nicht angebracht, dass Ihr unter Zuhilfenahme aller Euch zu Gebote stehenden Mittel und unter Daransetzung aller Eurer Kräfte eine Veränderung, eine Verbesserung herbeizuführen suchtet?
Sollte es Euch nicht möglich sein, unter Anschluss an die Form der Kranken- oder Pensionskasse durch eigene Kraft einen Verband zu ermöglichen, dessen vornehmste Tätigkeit die ist, das zum Teil wenigstens abzuwehren, womit die Gesellschaft sich an Euch versündigt? ... Die Parias der Eisenbahner.“
Zutreffender kann das damalige Zeitgeschehen nicht dargestellt werden. In der Zeit danach verbesserten sich die schlimmen Verhältnisse nicht, sondern verschlechterten sich Jahr für Jahr. Die Neuerungen auf dem Gebiet der Eisenbahntechnik machten ganze Arbeiterkategorien überflüssig. Die Zentralweiche verdrängte das Heer der Weichensteller, die Luftdruckbremse die Bremser, die Perronsperre die Schaffner.
Der wirtschaftliche Druck, die Schwere der auf den Eisenbahnern lastenden Ungerechtigkeit, die Bevormundung und die menschenunwürdige Behandlung ließen den Willen sich zu vereinigen stetig wachsen.
„Druck erzeugt Gegendruck“, es dauerte nicht lange, bis sich dieses alte Sprichwort wieder einmal bewahrheitete. Durch die bisherigen traurigen Erfahrungen waren die Eisenbahner vorsichtiger, ihr Mut und ihre Energie jedoch gestählt worden. So kam es, dass im Jahre 1896 das Feuer, das man erstickt wähnte, in hellen Flammen wieder aufloderte.
Gleichzeitig entstanden Bewegungen in Bayern, Sachsen und weiteren Regionen.
Diese Bewegungen kamen nicht von ungefähr. Die Eisenbahner steckten in einer sozialen Misere. Die Löhne erreichten kaum das Existenzminimum. Um 1896/1897 hatten beispielsweise rund 71 Prozent der Eisenbahnarbeiter in Bayern einen Tagesverdienst von 1,83 bis 2,83 und eine Jahreseinnahme von rund 550 bis 850 Mark. Davon mussten noch Versicherungsbeiträge und Steuern gezahlt werden. Pünktliche Lohnzahlung war keinesfalls Selbstverständlichkeit.
Arbeitsunterbrechungen, auch die der Eisenbahner nicht zu verantworten hatte, und Kürzungen im Winter schmälerten für Viele die ohnehin kümmerlichen Löhne. Das Jahreseinkommen der zeitweise arbeitslosen Bahnarbeiter betrug im Bereich des Oberbahnamtes Augsburg 480 Mark gegenüber 595 Mark der ständig beschäftigten Arbeiter. Etwas besser standen sich die Güterhallenarbeiter. Sie verdienten um 1896, regional sehr unterschiedlich, durchschnittlich 900 Mark pro Jahr. Die Handwerker in den Zentralwerkstätten hatten, bei rund 300 Arbeitstagen im Jahr einen Durchschnittslohn von 1.080 Mark, die Tagelöhner erhielten dagegen 810 Mark. Selbst bei bescheidenster Lebensweise benötigte man damals für eine Familie mit drei Kindern in größeren Orten 1.000 Mark, in mittleren 850 Mark und in kleinen Orten 780 Mark im Jahr.
Eine geregelte Arbeitszeit gab es weithin nicht. Die Bestimmungen über die Dienst- und Ruhezeit für das Personal des Betriebsdienstes im engeren Sinne stand nur auf dem Papier. Es gab von Ort zu Ort, sogar von Dienststelle zu Dienststelle, recht unterschiedliche Arbeits- bzw. Dienstzeiten. Für die große Mehrheit der Arbeiter und unteren Beamten betrug die durchschnittliche Arbeitszeit 12 Stunden täglich. Zum Beispiel hatten 1896 55 Prozent der Arbeiter in Nürnberg 24 Stunden Dienst, danach 24 Stunden frei. Für 25 Prozent der dortigen Arbeiter gab es überhaupt keine Arbeitszeit von bestimmter Länge. Sie begannen morgens um 6 Uhr und hatte so lange zu arbeiten, wie es der Dienst erforderte, meist bis 21 Uhr.
Für die Arbeiter in den Eisenbahnwerkstätten war demgegenüber die tägliche Arbeitszeit bereits ab 1892 auf 10 Stunden festgelegt.
Das Jahr 1896 war für die im Transport- und Verkehrsgewerbe beschäftigten Arbeiter von eminenter Bedeutung. Es war das Jahr, in dem in Hamburg annähernd 16.000 Hafenarbeiter und Seeleute in einem elfwöchigen Kampf standen. Das von den mächtigen Gegnern erhoffte Zerschmettern der Gewerkschaften trat nicht ein, im Gegenteil. Die beteiligten Gewerkschaften gingen wie ein Phönix aus der Asche aus dem Kampf hervor:
Die Organisation der Hafenarbeiter war gewaltig erstarkt. Die Seeleute gründeten den sich über alle deutschen Küstenstädte erstreckenden Seemannsverband. Ebenso vereinigten sich die Speditionsarbeiter, Markthelfer, Geschäftsdiener, Kontorboten, Rollkutscher und sonstige Fuhrwerksbedienstete in einen über ganz Deutschland sich erstreckenden Transport- und Verkehrsarbeiterverband.
Alle im Verkehrs- und Transportgewerbe beschäftigten Arbeiter waren nun organisiert, es fehlte nur noch einer, der Beschäftigte des geflügelten Rades, der Eisenbahner!
Und der wurde missbraucht. Eisenbahner mussten mehrere Hundert Streikbrecher nach Hamburg transportieren, die das Verladegeschäft teilweise übernahmen. Weiter transportierte die Bahn die ausgeschifften Güter zu anderen Häfen oder Bestimmungsorten. Der Handel und Verkehr zu Wasser war in Hamburg zeitweise stillgelegt. Doch die Streikenden gaben nicht nach.
Der Kampf um bessere Arbeitsbedingungen hat sich gelohnt: Die Hamburger Eisenbahner, Arbeiter und Unterbeamte, brachten den Mut auf sich am 08. Dezember 1896 zu versammeln. Viele kamen zu dieser Versammlung.
Es war nach nahezu sieben Jahren wieder die erste öffentliche Eisenbahner-Versammlung in Hamburg. Die Versammlung votierte zugunsten der streikenden Hafenarbeiter und Seeleute und beschloss dann
die Gründung der ersten freien Eisenbahnergewerkschaft in Deutschland.
Es sollte eine Berufsvereinigung der Eisenbahnangestellten und Arbeiter einschließlich der unteren Beamten aller Grade zum Zwecke der Hebung ihrer sozialen Lage und der gegenseitigen Hilfe und Unterstützung werden.
Die Konstituierung des Verbandes der Eisenbahner Deutschlands (VdED) und Annahme der Satzungen erfolgte dann am 13. Januar 1897.
Die Ziele des Verbandes werden satzungsrechtlich verankert. Das sind insbesondere:
Der Verband der Eisenbahner Deutschlands unterschied sich von Beginn an von anderen Berufsverbänden. Es ging dem Eisenbahnerverband nicht um Anpassung an vorhandene Herrschaftsstrukturen und Denkschablonen, sondern um deren Überwindung durch Aufklärung und Bewusstseinsbildung. Er meinte es sehr ernst, wenn er als übergeordneten Zweck ausdrücklich die allseitige Vertretung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Interessen der Eisenbahner proklamierte.
Die junge Gewerkschaft wird unterdrückt und verfolgt
Die scharfe Reaktion der Eisenbahnbehörden schon auf die ersten Aktivitäten des über Petitionen hinaus auch zu kämpferischer Auseinandersetzung für Lohn- und Besoldungserhöhungen oder Arbeitszeitverkürzungen und gegen Missstände in den Dienstverhältnissen bereiten Hamburger Verbandes war der Beweis dafür, dass die neue Organisation nicht harmlos oder allenfalls als lästig angesehen werden konnte, wie andere Organisationen.
„Kaum ist die Gründung des Verbandes der Eisenbahner erfolgt, so kommt auch die Verwaltung der preußischen Staatsbahn und sucht die Ausübung des Vereinigungsrechtes den Arbeitern unmöglich zu machen“, berichtete das „Correspondenzblatt“ der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands am 15. Februar 1897. „Der Staat als angeblicher Hüter des Gesetzes geht mit einer Gesetzesverletzung den Unternehmern mit gutem Beispiel voran.“
Diese Kritik entzündete sich an einer Verfügung der Eisenbahndirektion Altona, die den Arbeitern mit Entlassung drohte, wenn sie dem Verband der Eisenbahner beiträten. Die Verwaltung brachte auch unmissverständlich zum Ausdruck, dass es eines Beamten nicht würdig sei sich an Bestrebungen, wie sie der Verband verfolge, zu beteiligen.
Kurze Zeit später verzichtete das „Correpondenzblatt“ über die Organisation der Eisenbahner zu berichten um sie vor Unheil zu schützen.
Das Blatt schrieb auf seiner Titelseite am 23. August 1897:
„Über die Organisation der Eisenbahner werden wir auch in den folgenden Jahren aus naheliegenden Gründen keine Angaben machen. Im Lande der Sozialreform haben die Staatsdiener zu befürchten, auf das Straßenpflaster geworfen zu werden, wenn sie sich zur Vertretung ihrer Interessen vereinigen.“
Wer kämpft kann verlieren, wer nicht kämpft hat schon verloren
Nach Gründung des Verbandes fanden in allen größeren Städten Deutschlands öffentliche Versammlungen der Eisenbahner statt. Viele kamen zu diesen Veranstaltungen, ließen sich begeistern und traten dem Verband bei, obwohl sie genau wussten, dass die Verwaltungen Spitzel entsendeten.
Bereits im Februar 1897 wurden von den Eisenbahnverwaltungen Ukas (Warnungen) erlassen und öffentlich ausgehängt. Sie arbeiteten offensichtlich auf höhere Anweisung, um die Bewegung zu unterdrücken. Die Warnung in dem Ukas kam einer Bedrohung gleich, denn wer sich dem Verband oder seiner Einrichtungen anschloss, dem wurde unmissverständlich „disziplinarische Ahndung“ in Aussicht gestellt.
Ungeachtet dessen fanden am 16. Februar 1897 zwei große Protestveranstaltungen in Hamburg statt; die eine in Altona und die andere in Hamburg. Auch in Harburg stand man nicht zurück, trotz Verbot und aller Drohungen. Am 16. März 1897 beschäftigte sich eine weitere Versammlung in Hamburg mit dem immer stärker werdenden Spitzel- und Denunziantentum.
Wegen Besuchs einer öffentlichen Versammlung der Eisenbahner hat die Eisenbahndirektion Altona zwanzig alte, ehrenwerte Eisenbahner, die nahezu 25 Jahre der Eisenbahn treue Dienste geleistet hatten und von denen lediglich drei dem Eisenbahnerverband beigetreten waren, gemaßregelt. Sie wurden auf die Straße geworfen und mit der Vernichtung ihrer wirtschaftlichen Existenz bestraft. Ihr ganzes „Dienstvergehen“ bestand darin, dass sie in ihrer freien Zeit eine Versammlung besuchten, in welcher über die Arbeitsverhältnisse der Eisenbahnarbeiter gesprochen wurde.
Dem Eisenbahnerverband, der ja zur Durchsetzung seiner Forderungen auch Verbündete benötigte wurde ein Komplott mit den Sozialdemokraten unterstellt.
„... die Sozialdemokratie habe den Versuch gemacht, Bresche in die Einigkeit des Verbandes zu legen und die Eisenbahnunterbeamten für ihre Zwecke zu gewinnen. Es sei ihr weniger darum zu tun, für die Hebung der Lage für die Unterbeamten zu sorgen, als vielmehr durch Gewinnung der Letzteren für ihre spezifischen Parteizwecke die Existenz des Staates zu erschüttern. ...“
Der Staat bekämpfte die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften
Da der Verband der Eisenbahner sich strikt an die Gesetze hielt und deshalb schlecht angreifbar war, eröffnete sich über die ebenfalls bekämpfte Sozialdemokratie ein weiter Verfolgungsgrund.
Was immer der verlängerte Arm des Staates an Verboten und „Maßnahmen“ gegen die Eisenbahner und ihren Verband unternahmen, blieb relativ wirkungslos. Auch deshalb, weil das Solidaritätsprinzip unter den jungen Gewerkschaftern einen hohen Stellenwert hatte.
Unterstützungskassen, Betreuung der Familien von Inhaftierten, Hilfe für die „Gemaßregelten“ und mehr gaben ein wenig soziale Sicherheit.
Gegen diese Solidarität konnten die Eisenbahnverwaltungen nicht viel ausrichten. Deshalb mussten sie sich nach geeigneten Bundesgenossen umsehen. Da der Verband sich an die bestehenden Gesetze hielt, konnten Polizei und Staatsanwalt nicht helfen. Deshalb bedienten sich die Verwaltungen der „vor Loyalität ersterbenden Elemente“, die der Volksmund eindeutig und treffend
Byzantiner, Speichellecker, Schmarotzer, Denunzianten, Kriecher oder auch erbärmliche Dreckseelen nannte.
Das Jahr 1898 verlief im Verhältnis zu dem vorauf gegangenen Jahr ruhiger. Deshalb konnte die Führung des Verbandes ihre Aufmerksamkeit der planmäßigen Agitation und des inneren Aufbaus der Verbandsinteressen zuwenden. Es galt jetzt, neben dem ideellen Zweck der Organisation, den Mitgliedern materielle Vorteile zu sichern. Deshalb wurde am 15. April 1898 über eine Urabstimmung beschlossen, die bereits ausgearbeitete Vorlage über das „Unterstützungswesen“ in Kraft zu setzen.
Im Jahr 1899 setzte der Verband seine intensive Tätigkeit fort.
Die Eisenbahnverwaltungen ließen nichts unversucht, den Verband gefügig zu machen. Es sammelte sich immer mehr Zündstoff an:
Am 25. Juli 1899 wurde der unter den sächsischen Kollegen bekannte Bremser Albert Dräger in Dresden auf Verfügung der Königlich Sächsischen Generaldirektion entlassen. Dräger war seit vielen Jahren Vertreter in den beschließenden Körperschaften der Arbeiterversicherungsorganisationen und hatte sich insbesondere für die sozialen Belange gering verdienender Eisenbahner eingesetzt. Deshalb war er der Verwaltung, wie der schon gemaßregelte Kollege Ebner, unbequem geworden.
Am 20. Dezember 1899 wurde der Desinfizier-Vormann Wendler, der Bremser Max Steiner, der Bremser Norbert Wirth und der Bremser Fritz Gässel entlassen. Am 21. Dezember 1899 folgte die Entlassung des Hilfsweichenstellers Kunath und des Schaffners Wenk. Alle traten, mehr oder weniger unerschrocken für die Gesamtinteressen ihrer Berufskollegen ein.
Dazu schrieb die überregionale „Frankfurter Zeitung“:
„Der „Verband der Eisenbahner Deutschlands“ ist eine Gewerkschaft und hat als solche mit der Sozialdemokratie gar nichts zu tun. Die sächsische Regierung weiß es aber besser, indem sie eine höchst einfache Rechnung aufmacht: 1. Die Sozialdemokratie ist ein Herd der Unzufriedenheit; 2. eine Gewerkschaft ist auch ein Herd der Unzufriedenheit, denn unzufrieden ist Jeder, der seine Lage verbessern will. Unzufriedenheit da - Unzufriedenheit dort. Wenn zwei Größen einer dritten gleich sind, so sind sie untereinander gleich, ergo: Sozialdemokratie und Gewerkschaften sind identisch. Was ist klarer als dies? Und da man die Sozialdemokratie verfolgt, so verfolgt man auch eben die Gewerkschaften. Freilich, wer glaubt, die berechtigte Arbeiterbewegung damit unmöglich zu machen, ist im Irrtum.“
Die Arbeiterpresse Deutschlands, Österreich- Ungarns, der Schweiz, selbst die deutschen Arbeiterzeitungen Amerikas nahmen energisch gegen diesen Anschlag auf das Koalitionsrecht der Eisenbahner Stellung.
Der Junge Verband hat es sehr schwer
Die immerwährenden Maßregelungen der Verbandsmitglieder und der Sympathisanten ließen die Mitgliederzahlen nicht steigen.
Am 1. Dezember 1899 musste der Vorsitzende Heinrich Bürger eine Gefängnisstrafe in Hamburg antreten. Er hatte 1898 im Weckruf der Eisenbahner unter der ironischen und auch in späteren Jahren immer wiederkehrenden Überschrift „Aus den Musteranstalten“ betriebliche Zustände in Bromberg kritisiert. Er wurde zwar vom Amtsgericht freigesprochen, jedoch der Staatsanwalt hatte Berufung eingelegt und in einem neuen Verfahren erfolgte am 01. März 1899 Bürgers Verurteilung zu drei Monaten Gefängnis. Für die Zeit der Strafverbüßung wurde Bürger die Selbstbeschäftigung und Selbstverköstigung (im Gefängnis) gesichert. Die Kosten hierfür trug das Hamburger Gewerkschaftskartell, das auch die Versorgung von Bürgers Familie für die drei Monate übernommen hatte.
Überall musste an Druck- und Verwaltungskosten gespart werden. Selbst das gemietete, so überaus bescheidene Hauptbüro wurde aufgegeben. Die Redaktion des Weckrufs wurde Hermann Schulze in Dresden übertragen.
Im ersten Halbjahr 1901 belief sich der für Gemaßregelten – Unterstützung ausgewiesene Betrag auf 3.479,48 Mark. Weitere – wenn gleich geringere – Unterstützungen waren bereits im Jahr zuvor zu zahlen gewesen. Allein für Magdeburg, wo rigoros gegen den Verband vorgegangen worden war, hatten insgesamt 3.792 Mark zur Verfügung gestellt werden müssen. Der Verband der Eisenbahner Deutschlands konnte dieses Geld nicht selbst aufbringen, er war darauf angewiesen, dass ihm andere Gewerkschaften einen erheblichen Betrag zuschossen. Auch die Krankenunterstützung drohte zu einem gefährlichen finanziellen Hemmschuh zu werden. Denn die ständig steigenden Aufwendungen überschritten die Finanzkraft des Verbandes. Versuche, dem Verband eine stabilere Basis zu geben und Mitglieder zu werben, scheiterten mehr oder weniger.
Im September 1901 übernahm Hermann Jochade die Redaktion des „Weckruf der Eisenbahner“ und somit – so die Darstellung Brunners - auch den Posten des Vorsitzenden.
Jochade, ursprünglich von Beruf Former, war in Folge einer Maßregelung zum Berufswechsel gezwungen worden und hatte inzwischen in Hamburg eine Vertrauensstelle in der Druckerei inne, in der der „Weckruf der Eisenbahner“ gedruckt wurde.
Brunner verwaltete bis 1902 weiter die Kassengeschäfte des Hamburger Verbandes.
Alles, was der Verband der Eisenbahner Deutschlands unternahm wurde bespitzelt. Insbesondere auch die Abhaltung von Konferenzen, die nur unter strikter Geheimhaltung vonstattengehen konnten. Selbst die Teilnehmer der wichtigsten Konferenzen, soweit es sich um aktive Eisenbahner handelte, sind nicht aus den Protokollen zu ersehen. Ihre Namen wurden verschwiegen oder verschlüsselt.
Organisationsegoismus und Grenzstreitigkeiten machten darüber hinaus dem Verband im eigenen Lager der freien Gewerkschaften das Leben schwer. Die Organisierung der Werkstätten Arbeiter beispielsweise beanspruchte auch der Metallarbeiter- Verband und der Holzarbeiterverband. Der dagegen opponierende Hamburger Verband fürchtete, dass der Transportarbeiter- Verband die Güterabfertigungen als sein Agitationsbereich beanspruchen könnte. Deshalb beschloss die fünfte Konferenz des Hamburger Verbandes bei nur einer Gegenstimme: „Die Verbandskonferenz beschließt dem Verband der Handels-, Transport- und Verkehrsarbeiter sowie dem Metallarbeiter Verband nicht beizutreten. Wir fühlen uns stark genug den Verband der Eisenbahner Deutschlands nach allen Richtungen weiter auszubauen. Es sei keine Ursache vorhanden, dass mit schweren Opfern geschaffene Werk sinnlos zu opfern.“ Diese Resolution war eine Antwort auf die immer erneut auftretenden Bestrebungen, die Selbstständigkeit der Eisenbahner- Gewerkschaft aufzuheben.
Auf dem sechsten Verbandstag vom 10.-12. Juni 1906 sagte der Vorsitzende Jochade: „Für eine umfassende Organisierung der Eisenbahnermassen kann nur die Betriebs- und nicht die Berufsorganisation in Frage kommen.“ Jochade vertrat die Ansicht, dass sich eine Stärkung der Organisation im Zuge einer Entwicklung innerhalb des Kartellverhältnisses zu den Verbänden der Handels- und Transportarbeiter, Seeleute, Maschinisten und Heizer und Hafenarbeiter sehr wohl vollziehen könne, ohne das der Eisenbahner Verband seine Selbstständigkeit aufgäbe.
Auf dem fünften Internationalen Transportarbeiter Kongress 1906 in Mailand wurde Jochade zum besoldeten Sekretär der ITF ernannt, jedoch mit der ausdrücklichen Bedingung nur für die ITF tätig zu sein. Deshalb legte er am 01. Oktober 1906 sein Amt als Vorsitzender des Hamburger Verbandes nieder. Zum gleichen Zeitpunkt wurde offiziell Dresden zum Sitz des Weckrufs.
Jochades Nachfolger als Verbandsvorsitzender wurde der Kollege Westphalen, der zuvor Vertrauensmann der Hamburger Eisenbahner war.
Im Mai 1908 hielt der Hamburger Verband ((VdED) seine letzte Generalversammlung ab. Sie beschloss mit Dreiviertelmehrheit den Anschluss an den Deutschen Transportarbeiter- Verband. Bedingung war, dass dort für die Eisenbahner eine besondere Reichssektion gebildet würde. Die beiden wichtigsten Punkte der Resolution lauteten:
Der Hamburger Verband mochte nicht immer gut taktiert haben, aber ein gutes Stück Aufklärung unter den Eisenbahnern ist ihm zweifelsohne gelungen desgleichen – direkt oder indirekt – die Mobilisierung von Verwaltungen, Zeitungen und der parlamentarischen Gremien. Weder die Eisenbahnverwaltungen noch die gegnerischen Organisationen kannten die wirkliche Situation des Verbandes. Sie schätzten sie weit stärker ein, als sie je gewesen war. Verfolgungen und Anfeindungen waren im Grunde Ausfluss einer Furcht vor der Potenz des Hamburger Verbandes. So trug seine bloße Existenz zweifellos dazu bei, dass sich die zuständigen Stellen in Abwehr vermeintlicher Gefahr um die Wünsche des Personals kümmern mussten und gegenüber anderen weniger missliebigen Organisationen zu einem Entgegenkommen geneigter zeigten. Der Verband der Eisenbahner Deutschlands pflügte sozusagen das Feld auf dem er selbst nicht ernten durfte.
Auch dem Transportarbeiter Verband gelang es nicht, die Eisenbahner in nennenswerter Zahl zu organisieren, da auch die Zugehörigkeit zu diesem Verband von den Verwaltungen mit fristloser Entlassung bestraft worden war.
Neubeginn als Deutscher Eisenbahnerverband (DEV)
Auf Anregung und unter Mitwirkung der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands, erfolgte am 1. Juli 1916, die erneute Gründung einer selbstständigen frei-gewerkschaftlichen Organisation für Eisenbahner. Sie erhielt den Namen Deutscher Eisenbahner-Verband (DEV). Dieser verstand sich wiederum ausdrücklich als Einheitsorganisation.
Durch das Entgegenkommen der freigewerkschaftlichen Zentralverbände der Kupferschmiede, Maler und Lackierer, Maschinisten und Heizer, Metallarbeiter, Sattler und Transportarbeiter, sie leisteten Verzicht auf die Organisierung von Eisenbahnern, konnte die organisatorische Zersplitterung unter den Eisenbahnern verhindert werden. Die Wahl eines neuen Vorstandes des Deutschen Eisenbahner-Verbandes sollte durch eine ordentliche Generalversammlung legitimiert werden. Diese fand dann, auf Grund der besonderen Verhältnisse, erst Ende Mai 1919 statt. Vorerst fungierten als Vorstand Louis Brunner als 1. Vorsitzender, Siering als 2. Vorsitzender, Albert Dräger als Hauptkassierer, Blum als Schriftführer sowie Schumann, Hecht und Jakobeit als Beisitzer.
Nach offiziellen Angaben traten von der bisherigen Reichssektion innerhalb des Deutschen Transportarbeiter-Verbandes 841 Mitglieder in den Deutschen Eisenbahner-Verband über. Das bedeutete schon zahlenmäßig einen völligen Neubeginn. Der Anfang des DEV war also wenig verheißungsvoll, da die weitaus meisten Eisenbahner einen Beitritt zu der freigewerkschaftlichen Organisation noch immer nicht riskierten. So wurde am 31. Dezember 1916 lediglich ein Mitgliederstand von 1.174 erreicht.
Um den ständigen Verfolgungen zu entgehen, beschloss der Verband im Einvernehmen mit der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands, am 8. Februar 1917 eine Erklärung abzugeben, die von der „Obrigkeit“ als Streikverzicht verstanden worden war. Daraufhin teilte der zuständige Minister der öffentlichen Arbeiten und Chef des Reichsamtes, zuständig für die Verwaltung der Reichsbahnen, am 24. Februar 1917 dem DEV mit, dass er seinen Erlass vom 24. Oktober 1916, der das Organisationsgebiet des DEV erheblich einschränkte, wegen des ausdrücklichen Streikverzichts aufhebe. Damit war der Deutsche Einheitsverband jetzt in allen deutschen Bundesstaaten zugelassen. Nachdem nun das entscheidende Hindernis für die Ausbreitung der Organisation beseitigt war, zählte der Deutsche Eisenbahner-Verband bereits Anfang Mai 1917 6.000 Mitglieder in 36 Ortsgruppen.
Der Anschluss des DEV an die Generalkommission der Gewerkschaften erfolgte durch Beitragszahlung ab 1.Juli 1917. Zum gleichen Zeitpunkt wurde der Anschluss an die ITF erneut vollzogen.
Im Dezember 1917 war die Zahl der Mitglieder des Deutschen Eisenbahner-Verbandes bereits auf 37.051 gestiegen, im Juni 1918 hatte sie sich auf 47.795 erhöht und September 1918 belief sich die Mitgliederzahl auf 55.653. Das war ein ansehnlicher Zuwachs. Der Verband trat zielstrebig und beharrlich mit Forderungen zu jeweils akuten Problemen des Eisenbahnpersonals hervor.
Demokratie statt kaiserlichem Obrigkeitsstaat /Volles Koalitionsrecht ist Streikrecht für alle
Am 9. November 1918 verkündeten SPD und der Arbeiter- und Soldatenrat in Berlin den Generalstreik, traten der Kaiser und Kronprinz als Staatsspitze zurück, verkündete Scheidemann die „deutsche demokratische Republik“, später die Weimarer Republik genannt. Weniger durch eine klassische Revolution denn durch die besiegelte kriegerische Niederlage waren jahrzehntelange Forderungen – auch die der Gewerkschaften - mit der November-Revolution möglich geworden:
Der lange Kampf scheint gewonnen.
Am 12. November bereits hatte der Rat der Volksbeauftragten seinerseits in einem Aufruf „An das deutsche Volk“ nicht nur die Einführung des „achtstündigen Maximalarbeitstages“ spätestens zum 1. Januar 1919 verlautbart, sondern auch „mit Gesetzeskraft“ verkündet: „Das Vereins- und Versammlungs-recht unterliegt keiner Beschränkung, auch nicht für Beamte und Staatsarbeiter.“ Zugleich erfolgte die Aufhebung der berüchtigten Gesindeordnungen sowie der „Ausnahmegesetze gegen Landarbeiter“; die bei Kriegsbeginn aufgehobenen Arbeiterschutzbestimmungen wurden wieder in Kraft gesetzt und eine Verordnung über die Unterstützung von Erwerbslosen erlassen. Zur Regelung der Tarifverträge und ihrer Verbindlichkeit sowie der Arbeiter- und Angestelltenausschüsse und der Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten ergingen Verordnungen noch in der zweiten Dezemberhälfte 1918.
Ganz allgemein vollzog sich innerhalb kürzester Zeit für die Position der Gewerkschaften ein grundlegender Wandel. Ungeheurer Auftrieb einerseits, Fehleinschätzungen der wirklichen Machtverhältnisse und übersteigerter Optimismus andererseits waren die Folge. Die ungefährdete Existenz gewerkschaftlicher Organisationen - und damit, wie man meinte, ihre zwangsläufig wachsende Potenz - schien durch die im August 1919 verabschiedete Weimarer Verfassung ein für alle Mal gewährleistet. Ausdrücklich war dort im Artikel 159 völlige Koalitionsfreiheit festgelegt:
„Die Vereinigungsfreiheit zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Alle Abreden und Maßnahmen, welche die Freiheit einzuschränken oder zu behindern suchen, sind rechtswidrig.“
Am 12. November 1918 hatte der Rat der Volksbeauftragten, seinerseits in einem Aufruf „An das Deutsche Volk“ nicht nur die Einführung des „achtstündigen Maximalarbeitstages“ spätestens zum 1. Januar 1919 verlautbart, sondern auch mit „Gesetzeskraft“ verkündet: „Das Vereins- und Versammlungsrecht unterliegt keiner Beschränkung, auch nicht für Beamte und Staatsarbeiter.“
Auch der Deutsche Eisenbahner-Verband profitierte von der geänderten Situation.
Es war keine Schande mehr, Gewerkschaftsmitglied zu sein. Die Beitritte häuften sich. Bis 1. März 1919 stieg die Mitgliederzahl auf über 200.000 in 447 Ortsgruppen, obwohl sich die Tätigkeit des Verbandes auf Preußen, Sachsen, Mecklenburg und Oldenburg beschränkte.
Und der DEV war erfolgreich. Das bisherige Verbandsorgan der „Weckruf“ hieß ab 6. Januar 1917 „Deutscher Eisenbahner“. Dieser schrieb am 7. Dezember 1918:
„In den wenigen Wochen seit Bestehen der sozialistischen Volksrepublik, haben die Eisenbahner Fortschritte auf dem Gebiet der Verbesserung der Lohn- und Dienstverhältnisse zu verzeichnen, die sonst Jahrzehnte zu ihrer Verwirklichung gebraucht hätten. So ist die achtstündige Arbeitszeit und die Beseitigung der Akkordarbeitszeit glatt durchgeführt worden, obwohl es sich dabei um Probleme handelte, die den schärfsten Widerstand der Eisenbahn-Verwaltungen erwarten ließen. Die Revolution hat die den Eisenbahnerforderungen im Wege stehenden Hindernisse gründlich beseitigt“
Fast drei Jahre nach Gründung des DEV und ein halbes Jahr nach der Novemberrevolution fand vom 25. bis 31. Mai 1919 die erste Generalversammlung des Verbandes in Jena statt. Die Tagung verlief ziemlich stürmisch, nicht zuletzt durch heftige Auseinandersetzungen um das Rätesystem.
Zum 1. Vorsitzenden wählten die Delegierten Louis Brunner, zum 2. Vorsitzenden Franz Scheffel (der bald Brunners Nachfolger werden sollte), als Kassierer Albrecht Dräger und als einen der Sekretäre Hermann Jochade.
Der Verband entwickelte sich weiter positiv. Die nach so langem Kampf gewonnene Waffe des Streiks fand wiederholt Anwendung. Örtliche oder regionale Streikbewegungen richteten sich ebenso gegen Missstände im Betrieb wie sie andererseits politisch motiviert waren oder im Zusammenhang mit Arbeitsniederlegungen anderer Organisationen standen. Die große Bewährungsprobe für die Schlagkraft gezielter Aktionen war sehr bald gekommen. Bei der Abwehr des Kapp- Lüttwitz- Putsches hatten die Gewerkschaftsverbände und auch die Eisenbahner aktiv teilgenommen.
Am 1. Juli 1920 fand die Verschmelzung des süddeutschen Verbandes des Deutschen Verkehrspersonals mit dem Deutschen Eisenbahner-Verband statt. Damit gewann der Deutsche Eisenbahner-Verband nicht nur ein bedeutendes Mitgliederpotenzial, sondern er war nun mehr in ganz Deutschland präsent.
Eine vom 12. - 18. September 1920 in Dresden durchgeführte außerordentliche Generalversammlung des DEV, brachte Statuten-Änderungen und eine Neuwahl des Vorstandes. Franz Scheffel, er amtierte dann bis 1933, trat als Verbandsvorsitzender an die Stelle von Louis Brunner.
Gründung des Einheitsverbandes der Eisenbahner Deutschlands
Die dritte und letzte ordentliche Generalversammlung des Deutschen Eisenbahner-Verbandes wurde vom 21. – 26. Juni 1925 in Köln durchgeführt. Einen Tag später tagte der DEV gemeinsam mit der Reichsgewerkschaft Deutscher Eisenbahnbeamten und Anwärter mit dem Ziel einen Zusammenschluss herbeizuführen.
Am 27. Juli 1925 wurde der bisherige DEV- Vorsitzende Franz Scheffel zum Vorsitzenden des Einheitsverbandes der Eisenbahner Deutschlands (EdED) gewählt. Der Verband erstreckte sich über das Gebiet der Deutschen Republik und den laut Friedensvertrag neu entstanden Freistaaten, soweit sie vorher zum Deutschen Reich gehört hatten. Satzungsrechtlich wurde festgelegt, dass der Verband die gewerkschaftliche Einheitsorganisation für das gesamte, in allen Betrieben einschließlich in Nebenbetrieben der Eisenbahnverwaltungen beschäftigte Eisenbahnpersonal ist und diese organisiert.
So erfolgreich dieser Zusammenschluss für den Einheitsverband auch war, muss die Realität deutlich gesehen werden: Die bisherige Zersplitterung der Eisenbahnerbewegung konnte auch in der Weimarer Republik nicht überwunden werden. Der gegenseitige Kampf und die innere Zersplitterung der einzelnen Organisationen schadeten allen.
Der erste Lohntarifvertrag bei den preußisch-hessischen Staatseisenbahnen
Bis zur November-Revolution galt bei den preußisch-hessischen Staatseisenbahnen eine einseitig gesetzte Lohnordnung. Sie war bei stockenden Verhandlungen im Dezember 1918 vom Arbeiter- und Soldatenrat hinweggefegt worden in der Art, wie vom Krieg zurückgekehrte Soldaten mit einer kaiserlichen Verwaltung jetzt kurzen Prozess machten.
Die neue Vereinbarung vom 6. Dezember 1918 sah u. a. den Wegfall aller Stücklohn- und Prämienverfahren vor. Sie war Grundlage für den ersten Lohntarifvertrag des Deutschen Eisenbahner-Verbands (DEV) mit den preußisch-hessischen Eisenbahnen, dem 192o der erste Reichslohntarifvertrag folgte. Dieser Durchbruch war geschafft, 83 Jahre nach Inbetriebnahme der ersten deutschen Eisenbahn.
Der Generalstreik
Der Generalstreik setzte am 15. März 1920 im ganzen Reich ein: etwa 12 Millionen Menschen reihten sich in die demokratische Abwehrfront ein.
Der Generalstreik gegen die Kapp-Lüttwitz-Putschisten war nach Tagen erfolgreich, und die Eisenbahner konnten sich an der Niederschlagung hohen Kredit zuschreiben.
„Goldene zwanziger Jahre“ - für das Kapital
Nach Kriegstoten, Krüppeln und Witwen, nach Heimatverlust und Völkerwanderung der Betroffenen zahlte die Arbeiterklasse die Kriegsschulden des Kapitals ein zweites Mal: Mit der Hyperinflation1923 werden Lohn und Ersparnisse der Arbeiter aufgezehrt. Die Einnahmen der Reichen stiegen durch Werterhöhungen der Aktien und Immobilien.
Die Eisenbahner zahlten den Wilhelminischen Großmannskrieg gleich dreimal: Indem die für die Aufbringung der Reparationsschulden 1924 neu gegründete Deutsche Reichsbahn, danach DR-Gesellschaft, statt des Verursachers Staat und Wirtschaft ihrerseits reparationspflichtig wurden, nahm die DR das Eisenbahn-Personal über ausbeuterische Arbeitszeiten unter Kuratel: die Wochenarbeitszeit war von 48 auf 54 Stunden erhöht, eine neue krasse Dienstdauervorschrift eingeführt, und von Oktober 1923 bis Juni 1924 277.000 „Köpfe“ kalt abgebaut worden.
Der Zusammenschluss von DEV und der Reichsgewerkschaft Deutscher Eisenbahnbeamten (RG) 1925 in Köln zum Einheitsverband der Eisenbahner Deutschlands (EdED) konnte in den Folgejahren zwar letztmals materielle Erfolge für die Mitgliedern durchsetzen, an dem auf die Eisenbahner überwälzten Kriegslasten-Dilemma aber nichts ändern. Die Kriegskosten zahlten nicht deren Verursacher, sondern fast immer die arbeitenden Menschen der Verlierer, wie die der Sieger.
Die Weltwirtschaftskrise führt in die faschistische Diktatur
Aus einer zyklischen Konjunkturkrise, die in zu vielen Ländern im gleichen Zeitraum auftrat, kumulierte ab 1929 eine Weltwirtschaftskrise bisher unbekannten Ausmaßes. In Deutschland waren 1932 44 % der Erwerbstätigen arbeitslos und 23 % in Kurzarbeit, also nur wenige der Erwerbstätigen in Vollarbeit. Entsprechend waren die Löhne gesenkt worden, 1932 im Landesdurchschnitt auf 64 % des Niveaus von 1913/14, obgleich 1932 die Arbeits-Produktivität je Stunde 134 gegenüber 100 im Jahr 1913/14 betragen hatte.
Eine der Ursachen in Deutschland war, dass mehr Geld ausgegeben wurde, als eingenommen werden konnte. Man hatte schlicht über seine Verhältnisse gelebt. (S. Amerika und Weltfinanzkrise heute)
Die politischen Machtproben der ersten Jahre der Wirtschaftskrise in Deutschland hatten bereits Schlimmes ahnen lassen.
1928 verweigerten die Metall-Arbeitgeber-Verbände einen von der Reichsregierung für allgemeinverbindlich erklärten Schlichtungsspruch und brachen die bestehende Rechtsordnung ohne Konsequenzen.
1930 wird die letzte demokratisch gewählte Reichsregierung Müller gestürzt, wegen der beantragten Erhöhung der Arbeitslosenversicherung bei Massenarbeitslosigkeit.
Am 20. Juli 1932 wird der rechtswidrige Sturz der demokratisch gewählten preußischen Landesregierung bei 6 Millionen Arbeitslosen nicht mehr mit Generalstreik beantwortet, - ein doppelt selbstmörderisches Verhalten, weil das Großkapital jetzt wusste, dass es alleiniger Herr im alsbald faschistischen Hause sein würde.
Bei der Deutschen Reichsbahn mussten in dieser Zeit Einkommenskürzungen von 20 bis 25% hingenommen werden, und Rentner und Pensionäre waren nicht ausgenommen. Weitere Brüningsche Notverordnungen zur Einkommenskürzung standen bevor.
Angesichts der Zeitgeschehnisse tritt die Hilflosigkeit der Arbeiterbewegung im Jahre 1932 unübersehbar hervor. Schon die Verlautbarungen bei der anstehenden Wahl des Reichspräsidenten belegen es. Am 6. März veröffentlichte der Deutsche Eisenbahner den Aufruf des Vorstandes des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes an die Arbeiter:
„Bei der Wahl des Reichspräsidenten geht es um eure und eurer Kinder Zukunft, um Sein oder nicht Sein, des Demokratischen Deutschland um die Deutsche Republik und ihre Verfassung. Eure geschworenen Feinde sind die in der Nationalen Opposition zu einem Hassbündnis vereinigten Parteien. So bitter sie sich untereinander befehden sie haben ein gemeinsames Ziel, ihre unbeschränkte Vorherrschaft auf eure Knechtschaft zu gründen. Lasst euch durch ihr Kampfgeschrei gegen Hindenburg und Brüning nicht täuschen. Ihr Ansturm gegen das heutige System richtet sich gegen die Deutsche Arbeiterbewegung, ist ein Kreuzzug wider den Sozialismus, gilt der Vernichtung der Gewerkschaften.“
Doch der Prozess ließ sich nicht aufhalten. Zunächst ließ Hindenburg den Mann fallen, dem er seine erst im zweiten Wahlgang im April erfolgte Wiederwahl als Staatsoberhaupt ganz wesentlich mit verdankte: Heinrich Brüning den führenden Kopf des Zentrums, ehemals Geschäftsführer des Christlich-Nationalen- Gewerkschaftsbundes.
Am 30. Mai 1932 hat Reichskanzler Brüning den Reichspräsidenten aufgesucht, um die Zustimmung zu einer neuen Notverordnung zu erhalten. Hindenburg hatte ihn zunächst reden lassen, dann mit einigen barschen Worten zu einem bereitgelegten Aktenbogen gegriffen und vorgelesen:
Brüning antwortete: „Wenn ich die mir soeben vorgelesen Äußerungen richtig verstehe, so wünschen Sie, Herr Reichspräsident, die gesamte Demission des Kabinetts.“ Dies bestätigte Hindenburg unumwunden.
Der 2. Juni 1932 war der Tag der Geschäftsübergabe an die neue Reichsregierung. Jetzt saßen Männer im Sattel, von denen sich fünf sehr bald auch in einem Kabinett Hitler etablierten. Am 31. Juli 1932 musste der „Deutsche Eisenbahner“, unter der simplifizierenden Überschrift „Das Werk der Nazis“, nachträglich auf eine neue Hiobsbotschaft eingehen, den Staatsstreich Papens vom 20. Juli 1932:
„Die Regierung Papen hat im Lande Preußen durch Anordnungen und unter Anwendung von Gewaltmitteln die Regierung ihres Amtes enthoben und andere Männer mit der Staatsleitung in Preußen beauftragt. Die Regierung Braun-Severing musste der Gewalt weichen. Der Polizeipräsident von Berlin sowie sein Stellvertreter wurden ihres Amtes enthoben und verhaftet. Für Berlin und Provinz Brandenburg ist der militärische Belagerungszustand erklärt.“
Gewalt erschlägt Demokratie
Am 30. Januar 1933 wurde Hitler von Hindenburg zum Reichskanzler berufen. Franz von Papen wurde Vizekanzler. Am 27. Februar brannte in Berlin der Reichstag. Am 28. Februar 1933 verordnete der Reichpräsident einschneidende Maßnahmen, angeblich zum Schutze von Volk und Staat. Die Reichstagswahlen am 5. März 1933 brachten der NSDAP und der verbündeten Deutsch Nationalen Volkspartei nur eine knappe Mehrheit; aber die letzten Restbestände des Parlamentarismus ließen sich ebenso leicht beseitigen wie übrig gebliebene gegnerische Bastionen.
Das Verbot der Eisernen Front und des Reichsbanners wurde nach der Wahl kampflos hingenommen. Wenige Tage später, am 11. März 1933 wurde das bis dahin konsequent antinationalsozialistische Organ des Einheitsverbandes der Deutschen Eisenbahner bis einschließlich 4. April 1933 verboten. Ähnliche Eingriffe waren jetzt längst selbstverständlich. Breites Umfallen nicht minder.
Am Mittwoch den 29. März 1933 traten Vorstand und Beirat des Einheitsverbandes der Eisenbahner Deutschlands in Berlin zusammen, um gemeinsam die gegebene Situation zu erörtern und daraus Folgerungen zu ziehen. Das Ergebnis der Konferenz bedeutete den erzwungenen Rücktritt des gewählten Vorsitzenden Scheffel sowie der Vorstandsmitglieder Jochade und Breunig. Und dann kam es Schlag auf Schlag:
Am 17. März 1933 erklärten sich die Christlichen Gewerkschaften für unpolitisch. Am 21. März 1933 erklärt der Vorsitzende des allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes an Hitler: „Die Gewerkschaften beanspruchen nicht, auf die Politik des Staates unmittelbar einzuwirken“. Am 29. März 1933 schreibt der ADGB Vorsitzende Leipart an Hitler und offeriert ihm die völlige Trennung von der SPD, Kompromissbereitschaft der freien Gewerkschaften und Zusammenarbeit mit den Unternehmern zur Lösung sozialer Fragen. Am 3. April 1933 erklärt der Bundesausschuss des Allgemeinen Deutschen Beamtenbundes (ADB) die Auflösung des ADB. Am 9. April 1933 beschließt der Vorstand des internationalen Gewerkschaftsbundes seinen Sitz von Berlin nach Paris zu verlegen. Am 9. April 1933 wird vom Bundesvorsitzenden des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes der nationalsozialistische Staat verschlüsselt bejaht und die volle Mitarbeit angeboten. Am 10. April 1933 erfolgt die Verkündung des Gesetzes über die Einführung eines Feiertages der Nationalen Arbeit. Dieses Gesetz macht den 1. Mai in ganz Deutschland zu einem arbeitsfreien Tag, der offiziell zu feiern ist. Der 1. Mai ist von nun an für die Zwecke des 3. Reiches umfunktioniert. 11. April 1933: der Hirsch-Dunkersche Gewerkschaftsbund der Angestellten überreicht Hitler einen Plan zur Vereinheitlichung der Deutschen Gewerkschaftsbewegung. 29. April 1933: der Hirsch-Dunckersche Gewerkschaftsbund der Angestellten ist nun gleichgeschaltet.
Noch am Abend des 1. Mai 1933 notierte Goebbels in sein Tagebuch: „Morgen werden wir nun die Gewerkschaftshäuser besetzen, Widerstand ist nirgends zu erwarten.“
Die am 2. Mai 1933 schlagartig besetzten Häuser, Zahlstellen, Redaktionsbüros und dergleichen mehr gehörten zum Bereich der freien Gewerkschaften. Das Beispiel genügte, der unverzüglichen Kapitulation der Verbände der übrigen Richtungen konnte man nun sicher sein. Zuletzt endete praktisch alles in nationalsozialistisch ausgerichteten Organisationen: Die Deutsche Arbeitsfront oder der Reichsbund der Deutschen Beamten, das Kapitel Gewerkschaften war nun vorerst ausgelöscht.
„Man wird keinen vergleichbaren Vorgang in der Geschichte finden: „Die Verbände der Arbeiterbewegung finden sich genötigt die in Millionen zählenden Mitglieder aufzurufen, unter der Fahne ihrer grimmigsten Gegner durch die Straße zu marschieren. In Hannover rief der ADGB zur Teilnahme an den faschistischen Kundgebungen auf ungeachtet der Tatsache, dass hier das Gewerkschaftshaus schon seit dem 1. April von der SS besetzt war, die Kassen geplündert, die Fahnen öffentlich verbrannt. Die Zeitungen mit endlosen Berichten über den neu geschaffenen Feiertag der nationalen Arbeit liegen noch frisch auf den Schreibtischen der Gewerkschaftsbeamten, als vormittags, Punkt 10 Uhr, die Schlägerbanden der Nazis in den Büros erscheinen und das seit Monaten betriebene Werk der Zerstörung vollenden. Der Ablauf ist auf bedrückende Weise überall der selbe. Führende Kollegen werden verhaftet, die übrigen werden gezwungen zu bleiben und ihre Arbeit fortzusetzen, wobei ihnen gleichzeitig alle Möglichkeiten genommen werden, dass wirklich zu tun. In blindwütigen Mordtaten, willkürlichen Misshandlungen und Zerstörungen erreicht der Terror, dem die Gewerkschaften seit Juni 1932, seit dem Sturz Brüning ausgesetzt sind, seinen Höhepunkt. Schreiben um Schreiben hatte der Vorstand des ADGB an Hindenburg gerichtet. Alles Bemühen den Reichspräsidenten an seine verfassungsmäßigen Aufgaben zu erinnern, an seine Verantwortung gegenüber dem ganzen Volk, schlagen fehl.
Selbst der Appell an die militärische Kameradschaft, der Hinweis auf die Tatsache, dass im ADGB Millionen Frontsoldaten organisiert sind, bleibt wirkungslos. Manche Gewerkschaftshäuser werden am 2. Mai 1933 zum zweiten Mal besetzt. Sie waren erst im April wieder freigegeben worden und fallen nun erneut in die Hände der Nazis. Widerstand rührt sich nirgends. Ein gespenstiger Alltag beginnt, Kassen werden übergeben, Vermögen beschlagnahmt, Immobilien zweckentfremdet, eine dubiose nationalsozialistische Betriebszellen-Organisation (NSBO) spielt kurze Zeit Gewerkschaft. Aber noch im Mai wird parallel dazu die Deutsche Arbeitsfront (DAF) gegründet die sich bald zu einer riesigen Zwangsorganisation auswäschst, weit entfernt von jener Einheitsgewerkschaft, die der ADGB den Nazis im April angeboten hatte...!“
Nach einer langjährigen Förderung und Finanzierung der NSDAP durch Großindustrie, Banken und nationale Presse in Deutschland gelang es diesen Kreisen, am 30. Januar 1933 Hitler und den Nazis die staatliche Macht im deutschen Reich zu übertragen. Dies war freilich nicht Ausfluss einer gewonnenen Wahl, sondern Ende eines politischen Machtspiels der Großindustrie. Wahlen hatte die NSDAP im Gegenteil eher verloren: von Juli 1932 mit 230 Sitzen auf 196 Sitze bei den Wahlen im November 1932. Trotz anhaltender Wirtschaftskrise hatte sie bei den Wählern abgenommen. Die Macht aber wurde von diesen Kreisen ergriffen, um der neuen Demokratie, dem Sozialstaat und der Arbeiterklasse den Garaus zu machen. „Jetzt oder nie“ sollte Schluss gemacht werden mit den, dem Kapital verhassten Fortschritten der Arbeiterklasse, seit deren November-Revolution 1918. Hitler: „Gebt mir vier Jahre Zeit - und ihr werdet Deutschland nicht wiedererkennen!“
Machtübernahme mit Hilfe der Großindustrie
Nach einer langjährigen Förderung und Finanzierung der NSDAP durch Großindustrie, Banken und nationale Presse in Deutschland gelang es diesen Kreisen, am 30. Januar 1933 Hitler und den Nazis die staatliche Macht im deutschen Reich zu übertragen. Dies war freilich nicht Ausfluss einer gewonnenen Wahl, sondern Ende eines politischen Machtspiels der Großindustrie.
Schon in der dem 30. Januar 1933 folgenden Nacht begann reichsweit eine Terrorwelle bislang nicht gekannten Ausmaßes, die sich stetig steigernd erst am 8. Mai 1945 beendet werden konnte, und in deren Folge mindestens 55 Millionen Menschen in ganz Europa starben. An jenem 30. Januar überfielen SA-Truppen mit längst vorbereiteten schwarzen Listen insbesondere die als Hochburgen der SPD und KPD bekannten Arbeiterviertel und verschleppten Tausende Nazigegner in Folterkeller, wo sie schwer misshandelt, und einige von ihnen ermordet wurden.
Die Überlebenden dieser Blutwochen wurden später entweder vorübergehend entlassen oder in unmittelbar darauf eingerichtete Konzentrationslager (KZ) verschleppt. Das erste KZ dieser Art entstand am 30. März 1933 in Dachau bei München, ihm folgten bis zum Jahresende weitere 100 KZs mit 150.000 Häftlingen.
Am 1. April 1933 wurden alle jüdischen Geschäfte von der SA (Schutzarmee der NSDAP) blockiert, am 7. April mit dem Gesetz zur “Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ alle linken und „nicht-arischen“ Beamten entfernt. Am 26. April wurde die Geheime Staatspolizei, die Gestapo, eingerichtet.
Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen halten die DR aufrecht
Mit dem Beginn des zweiten Weltkrieges wuchs der Bedarf an Arbeitskräften sprunghaft. Ermittlungen gehen davon aus, dass von 1940 bis Anfang Mai 1945 minimal 7,5 Millionen, maximal 13 Millionen ausländische Arbeitskräfte im Reichsgebiet eingesetzt waren, darunter fast 2 Millionen Kriegsgefangene. Darüber hinaus waren allein in der UdSSR etwa 22 Millionen Zivilisten im Zwangsarbeitsdienst für Nazi-Deutschland tätig. Allein aus dieser Dimension heraus erklärt sich die Bewertung der Zwangsarbeit sowjetischer Arbeitssklaven in der nachfolgenden Darstellung.
Auch bei der Deutschen Reichsbahn, der „vierten Waffengattung“, wuchs der Arbeitskräftebedarf enorm. Bedingt durch die Einberufung zahlreicher Eisenbahner zum Kriegsdienst sah sich die Reichsbahn sehr bald gezwungen, ausländische Arbeitskräfte anzufordern. Konnte man noch in den ersten Kriegsmonaten den Arbeitskräfteverlust bei der Deutschen Reichsbahn dadurch ausgleichen, dass man 20.000 Rentner und Pensionäre reaktivierte und zudem auf den Einsatz von Frauen auch zu schwerer körperlicher Tätigkeit im Bahndienst zurückgriff.
Waren 1935 noch 650.000 Menschen bei der Bahn beschäftigt, stieg die Zahl der Beschäftigten zum Ende des Jahres 1939 auf 970.000 und bis Ende Dezember 1943 auf 1,6 Millionen an. Frauen erhielten nur 60-70 % des Lohnes der Männer. Die Arbeitszeit stieg auf 10-12 Stunden täglich.
Die Rekrutierung von ausländischen Zwangsarbeitern erfolgte ab Herbst 1939 kurzzeitig auf der Basis einer „Freiwilligkeit“. Westeuropäer und Polen wurden mit Versprechungen und unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zur Arbeit im Reichsgebiet angeworben. Seit Herbst 1941 forderten deutsche Industrieunternehmen auch den Einsatz sowjetischer Arbeitskräfte.
Nach der bedingungslosen Kapitulation des faschistischen Deutschlands am 8. Mai 1945 ging es den Überlebenden ums bloße Überleben und den Millionen Flüchtlingen und Ausgebombten um eine halbwegs sichere Bleibe, irgendwo.
Die praktische Gewerkschaftsarbeit 1945 beginnt mit Nahrungsmittel-Organisation, Wohnungsvermittlung, Kleiderhilfe, Beschaffung von Heizmaterial. Die Eisenbahner hatten den ersten Wiederaufbau des weithin zerstörten Betriebes zu leisten. Die große Völkerwanderung war zu bewältigen, die der deutschen und der Sieger-Soldaten, der Flüchtlinge und der Heimkehrer, der Rückwanderer und Auswanderer, der Hamsterer und jener Menschen, die ihre Verwandten und Bekannten suchten. Mit diesen Erfahrungen der ersten Nachkriegsjahre hängt zusammen, dass ältere Menschen zur Dampfeisenbahn und der 3. und 4. Wagenklasse (Holzklasse) nostalgisch blieben.
Diese Aufgaben leisteten die im Sommer 1945 spontan gegründeten Betriebsräte und lokalen Gewerkschaftsorganisationen zuerst.
Das Kontrollratsgesetz Nr. 22 vom 10. April 1946, das sog. Betriebsrätegesetz, legalisierte die sich entwickelnde Betriebsrätepraxis voll und ganz. Art. 5 Abs. 2 dieses Gesetzes regelte:
„Die Betriebsräte bestimmen im Rahmen dieses Gesetzes selbst ihre Aufgaben im Einzelnen und die dabei zu verfolgenden Verfahren.“
So klar und einfach können Gesetze sein!
Freie Gewerkschaften
Die Hauptsache war, gewerkschaftlich „die Einheit aller Arbeitenden“ als Lehre und Vermächtnis des Scheiterns von 1933 zu schaffen. Diese Einheits-Gewerkschaft war keine bloß juristische Konstruktion, sondern der Schwur aus Gefängnissen und Konzentrationslagern. In der sowjetischen Zone konnten und durften Gewerkschaften schnell und zentral entstehen, in der englischen und amerikanischen Zone ausschließlich örtlich, allenfalls regional.
Ost-West spaltet die Gewerkschaftsbewegung
Noch war es damals den ersten Gewerkschaftsgründungen möglich, auf insgesamt neun gewerkschaftlichen Interzonen-Konferenzen vom November 1946 bis August 1948 über gemeinsame Aufgaben und über eine Aktionseinheit zu sprechen. Doch die weltpolitische sich weiter vertiefende Systemtrennung ließ bereits keine gemeinsamen Ergebnisse mehr zu. Längst vor der Währungstrennung und vor der staatlichen Trennung in BRD und DDR gingen die Zonen-Gewerkschaften auch politisch auseinander. Und die aus der sowjetischen Zone in die Westzonen geflohenen Gewerkschafter prägten aus ihrer Erfahrung das westdeutsche Bild des FDGB und der SED sehr wesentlich.
Das Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 legte fest:
„Unter Berücksichtigung der Notwendigkeit zur Erhaltung der militärischen Sicherheit wird die Freiheit der Rede, der Presse und der Religion gewährt. ... Die Schaffung Freier Gewerkschaften, gleichfalls unter Berücksichtigung der Notwendigkeit zur Erhaltung der militärischen Sicherheit, wird gestattet werden.“
Alliierter Kontrollrat setzt Recht in ganz Deutschland
Das oberste Rechtsorgan im besiegten wie befreitem Deutschland war nach dem Potsdamer Abkommen der Alliierte Kontrollrat. Bei den vom Potsdamer Abkommen erlaubten Gewerkschaftsgründungen verlangsamten die westlichen Kontrollräte diese und genehmigten sie nur dann, wenn sie nach angelsächsischer Tradition lokal erfolgten.
Ganz anders der sowjetische Kontrollrat-Vertreter, der für seine Zone bereits 1946 die Gründung des Bundes FDGB und dessen Einzelgewerkschaft IG Eisenbahn genehmigte.
Seit 1947/48 laufen die West- und die Ostzone als spätere BRD und DDR auch gewerkschaftspolitisch auseinander. Immerhin war für die arbeitenden Menschen die gewerkschaftliche Einheit erreicht worden, im Westen „rot-schwarz“, im Osten „rot-rot“. Nach örtlichen, regionalen und Länder-Gründungen war im März 1948 die Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands (GdED) bizonal, und im Juni 1949 für das gesamte Gebiet der BRD gegründet worden. Bleiben wir in den Westzonen, wo sich für die junge GdED bereits in den ersten Phasen ihrer Existenz große Probleme aufhäuften, die sie auf Jahrzehnte hinaus belasten sollten.
Nicht nur die ÖTV, sondern auch die Mehrheit des bizonalen DGB behaupteten 1948, dass die wiedergegründete „freigewerkschaftliche“ Eisenbahner-Organisation keine autonome, selbständige Gewerkschaft sein dürfe, sondern eine „Reichsfachgruppe“ der ÖTV. Vorstand und Beirat des DBG schlossen im Februar 1848 die bizonale GdED aus dem DGB aus, eine atmosphärisch lange nachwirkende Entscheidung, auch wenn sie bei der Gründung des DGB auf Bundesebene durch die Fakten rückgängig gemacht worden war. Glücklicherweise hatte die junge GdED aus den Zeiten des antifaschistischen Widerstands einen starken Rückhalt in ihrer Berufsinternationalen ITF in London, den sie gegen den DGB-Ausschluss ausspielen konnte.
Gründungsverbandstag in Bergen- Enkheim
Die Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands (GdED) wurde auf dem Gründungsverbandstag vom 23.-26. März 1948 in Bergen- Enkheim bei Frankfurt am Main vollzogen. Dieser Gründungsverbandstag brachte den ersten bizonalen Zusammenschluss einer westdeutschen Gewerkschaft. Es vereinigten sich die „Industriegewerkschaft der Eisenbahner“ in der britischen Zone mit den in der amerikanischen Besatzungszone aufgebauten Landesorganisationen in Bayern und in Hessen sowie der Einheitsgewerkschaft der Eisenbahner in Württemberg-Baden, die allerdings nur im Direktionsbezirk Stuttgart tätig war.
Die Delegierten wählten in Bergen- Enkheim den aus der freigewerkschaftlichen Eisenbahnerbewegung kommenden Hans Jahn als Vorsitzenden. Johann Hatje wurde zweiter Vorsitzender. Die Gründungsversammlung beschließt eine Satzung die im Paragraphen 2 bestimmt: Die Gewerkschaft wird nach demokratischen Grundsätzen verwaltet. Sie ist keiner Partei oder weltanschaulichen Gemeinschaft verbunden und erwartet von ihren Mitgliedern gegenseitige Achtung der politischen und weltanschaulichen Ansichten.
Nutzen und Notwendigkeit der Einheitsgewerkschaft für die Interessenvertretung der Eisenbahner standen bereits vor Bergen- Enkheim außer Frage. Worum es dort ging, war die Schaffung einer verbreiterten Basis. Diese erwies sich, ungeachtet des tiefgreifenden Strukturwandels im Verkehrswesen mit all seinen Auswirkungen als äußerst stabil. Realisiert wurde damit auch bei der Eisenbahn erstens das Industriegewerkschaftsprinzip „ein Betrieb - eine Gewerkschaft“ und zweitens die Überwindung der Spaltung in Richtungsgewerkschaften, d.h. eine Organisation von Arbeitern, Beamten und Angestellten. Der Organaufbau in der GdED ist demokratisch. Die Mitglieder sollten das Geschehen bestimmen können.
Folgenschwer für die junge GdED war dies: Als Satzungsaufgabe hatte sich die Einheitsgewerkschaft – aus Arbeitern, Angestellten und Beamten – die Säuberung von NS-Einflüssen gesetzt und verschloss sich anfänglich der Mitgliedschaft von NSDAP-Mitgliedern. 1945 waren aber NSDAP-Mitglieder gewesen: 90 % der höheren, 80 % der gehobenen, 50 % der mittleren, und 2o% der so genannten einfachen Beamten. Zudem hatte der Gewerkschaftsvorsitzende Jahn bei Bund und Alliierten sich erfolgreich gegen die Abschaffung der Beamten bei der Bahn gewehrt. So wurde die junge GdED zwar ungewollt, doch absehbar zum Geburtshelfer der Beamtenbund-Verbände.
Praktizierte Demokratie – die Mitglieder bestimmen
Der auf der Gründungsveranstaltung der GdED gewählte Vorsitzende Hans Jahn und seine weiteren Vorstandmitglieder hatten in gewerkschaftlichen Angelegenheiten sehr viele Erfahrungen, insbesondere negative, sammeln müssen. Diese Erfahrungen haben sich eindeutig in der Gestaltung der neuen Satzung für die GdED niedergeschlagen. Wir haben Hans Jahn und seiner Mannschaft zu verdanken, dass die Satzung demokratisch und politisch unabhängig gestaltet wurde. Es schien auch so, als wenn Bundesrepublik Deutschland den Gewerkschaften den Stellenwert geben wollte, den sie benötigte, um als dritte Kraft die Rolle des Hüters der Demokratie und des Erhalts für Frieden, Recht und Ordnung einnehmen zu können.
Das Obrigkeitsdenken sollte endgültig Vergangenheit sein, deshalb ist der ersten Satzung der GdED in der Nachkriegszeit eindeutig der Demokratie-Gedanke gewidmet. Es hilft aber wenig, wenn dies auf dem Papier in einer Satzung steht, Demokratie muss gelebt werden. Unter diesen Prämissen hat sich die GdED in wenigen Jahren Respekt und Gehör verschaffen können.
Besonders wichtig war für die Väter der Satzung, dass das Mitglied selbst die Politik der Gewerkschaft bestimmen müsse und genau so wurde die Organisation aufgebaut: Die örtliche Ebene sorgt für Mitgliedernähe, ist Informationsaustauschbörse und stellt Forderungen. Die breite Fächerung der örtlichen Ebene, in Fach- bzw. Berufsgruppen, in denen spezifische Berufsinteressen vertreten werden, die Frauen-, Jugend-, Seniorenarbeit sowie die Vertrauenspersonen, Personalräte und Betriebsräte bilden die Grundlage für eine sehr erfolgreiche Gewerkschaftsarbeit. Die Bezirksebene hat wichtige Steuerungsaufgaben, sie koordiniert die Arbeit der örtlichen Ebene, intensiviert und baut sie aus und ist Bindungsglied der Mitglieder zu den weiteren Gremien. Hauptvorstand, Gewerkschaftsbeirat und Gewerkschaftstag, bestehen aus ehrenamtlichen und gewählten Mitgliedern der Bezirke, sind die Umsetzungs-, Arbeits-, und Entscheidungsebene. Nicht die Hauptamtlichen in der GdED, sondern die Ehrenamtlichen haben das Sagen. Es ist eine Struktur, die den Erfordernissen einer demokratischen Gesellschaft Rechnung trägt. Wichtig ist auch, die Gewerkschaftsstrukturen den geänderten Verhältnissen anzupassen, ohne die demokratischen Grundsätze zu verändern.
Das ist die Geschichte unserer Gewerkschaft von 1896 bis zur Gründung der GdED/GDRA 1948.
Fortsetzung: siehe Buch
„Zeiten ändern sich - der Auftrag bleibt“ 1945 – 2008
Zusammengestellt von Friedrich Rewinkel, Sprecher EVG Geschichte und aktualisiert im Februar 2022
Quellen:
Dokumentationen der EVG Geschichte