Eine Stadt im Erzgebirge ist der Sitz des ersten digital gesteuerten Stellwerks in Europa. Die Deutsche Bahn verspricht sich davon mehr Verlässlichkeit und weniger Kosten.
Seit Januar werden bei der Erzgebirgsbahn, einer DB-Tochter im Südosten unserer Republik, die Züge digital gesteuert. Möglich macht das die so genannte Generation 5.0, die neueste Generation der Stellwerke, die – so sind sich alle Fachleute einig – eine Revolution für die Leit- und Sicherungstechnik der Bahn bedeutet und eingeläutet hat. Zuverlässig, effizient und sicher erlaubt sie, den Verkehr auf der Schiene wirtschaftlicher und leistungsfähiger zu organisieren, heißt es aus dem Konzern.
„Unser DSTW (Digitales Stellwerk) markiert einen Startpunkt für das Stellwerk in der Cloud“, so Michael Freudenberg, Projektleiter LST der DB Regio Netz Infrastruktur GmbH Erzgebirgsbahn. Die Technologie sei „zuverlässig, wartungsarm und unkompliziert“, zeigt er sich begeistert.
Aber was sind die großen Pluspunkte des DSTW?
„Bis jetzt werden sogenannte abgesetzte elektronische Stellwerke (ESTW-A) benötigt“, erklärt Michael Freudenberg weiter. Künftig könne diese mit der 5.0-Technik entfallen. 2019 wird das nächste DSTW in Warnemünde in Betrieb gehen. So wird Schritt für Schritt erprobt, ob die digitale Technik in der Lage ist, den dichtgetakteten Zugverkehr auf einem komplexen Gleisnetz zu bewältigen. Bis 2035, so der Plan des DB-Konzerns, soll der gesamte Verkehr auf dem Gleis digital gesteuert werden.
„Bis jetzt läuft alles störungsfrei“, so Michael Freudenberg. Schockmomente wegen qualmender Rechnerschränke oder eines unlösbaren Digitalknotens habe es nicht gegeben. Um alles auf noch sicherere Füße zu stellen, plane die DB ein eigenes Netz, um sich vom offenen und jedem zugänglichen Internet zu separieren, so der studierte Ingenieur für Eisenbahnsicherungstechnik.
Die alte Technik soll nach und nach durch die IP-basierten Technik ersetzt werden. Bundesweit gibt es bei der Deutschen Bahn rund 2800 Stellwerke - und zwar aller Generationen, bis hin zum mechanischen STW. Nur sieben Zugminuten von Annaberg-Buchholz, im Bahnhof Cranzahl werden Signale und Weichen noch über Hebel; Gestänge und Drahtseile bewegt. Technik aus dem 19. Jahrhundert, mit der die Züge der Erzgebirgsbahn bis heute aufs richtige Gleis geschickt werden.
Die neue Stellwerkstechnik verspricht enorme Möglichkeiten für mehr Kapazität und Pünktlichkeit im Eisenbahnverkehr. Damit etabliert sich die Schiene immer besser als Alternative zur Straße. Parallel ist es wichtig, dass genügend neues Personal aufgebaut wird. „Ohne die Menschen in einem Stellwerk läuft nix“, so Freudenberg. Die Arbeit in einem DSTW sei interessant. Nur die langen Ausbildungs- und Anlernzeiten beispielsweise für angehende Signalmechaniker/Werkmeister LST schreckten teilweise ab, sagt Michael Freudenberg aus Erfahrung. Es ist ein Kampf, geeignete Leute zu finden, so das gestandene EVG-Mitglied.
Der Gesamtbetriebsrat der DB Regio Netze und der Betriebsrat der Erzgebirgsbahn unterstützen und begleiten das Projekt. „Für die Kolleginnen und Kollegen der DSTW´s bzw. auch ESTW’s ist die Anwendung dieser Technik natürlich eine große Herausforderung, aber auch eine körperliche Erleichterung“, sagt Andreas Stoppke, stellvertretender GBR-Vorsitzender und selbst Fahrdienstleiter im neuen DSTW. Er war bereits zu den Vorbereitungsarbeiten nach Braunschweig eingeladen. „Wir wurden als Interessenvertreter umfassend informiert – wir haben dabei aber auch festgestellt, dass vernünftige Rückfallebenen geschaffen werden müssen!“
Die EVG begrüßt den Fortschritt in jeder Form. Nur müssen die Beschäftigten dabei mitgenommen werden. Mit unserem Tarifvertrag Arbeit 4.0 haben wir den Betriebsräten dafür neue, umfangreiche Möglichkeiten an die Hand gegeben. Denn mit der neuen Digitaltechnik ändern sich Berufsbilder, Arbeitsabläufe und -bedingungen in den Stellwerken. Zugleich wird sich für die Reisenden der Eisenbahnbetrieb insgesamt verbessern. Dennoch stehen Antworten auf viele Fragen aus. So unter anderem zu Rückfallebenen, Anpassungen der Ausbildungsberufe oder zu Qualifikationen der Nachwuchskräfte und an Quereinsteiger.
Das sieht auch Gesamtbetriebsrat Andreas Stoppke so. „So schön und zukunftsträchtig die neue Technik auch ist, der Mensch sollte aber weiterhin im Mittelpunkt stehen. Aus diesem Grund fokussieren wir uns zukünftig auch auf das Thema ‚Gestaltung ergonomischer Arbeitsplätze‘.“