Beim DGB-Kongress in Berlin beginnt am Dienstag die Antragsberatung: die eigentliche Arbeitsphase des Kongresses. Vorher bot der Nachmittag des zweiten Tages noch einmal ein hohes Maß an politischem Input und an Emotion.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat sein Grußwort unter das Thema Solidarität und Respekt gestellt. Er kündigte unter anderem eine Stärkung von Tarifbindung und Mitbestimmung an. „Wir werden die Tarifbindung mit einem Bundestariftreuegesetz stärken, mit dem wir Vergabe öffentlicher Aufträge daran knüpfen, dass die Tarifverträge der jeweiligen Branche angewendet werden.“ Auch wolle die Bundesregierung 50 Jahre nach der letzten Novelle des Betriebsverfassungsgesetzes die betriebliche Mitbestimmung ausbauen. So solle zum einen der digitale Zugang der Gewerkschaften in die Betriebe gesichert werden. „und wir werden auch härter gegen diejenigen vorgehen, die die Gründung von Betriebsräten behindern. Solche Machenschaften werden wir als Offizialdelikt einstufen, das die Justiz verfolgen muss.“ Er freue sich auf die künftige Zusammenarbeit mit dem DGB und dem neuen DGB-Vorstand. „Deutschland kann zeigen, dass Transformation gelingen kann. Zukunft gestalten wir gemeinsam."
Reiner Hoffmann und Annelie Buntenbach wurden aus dem Geschäftsführenden DGB-Bundesvorstand verabschiedet. Reiner hat den Bund der Gewerkschaften acht Jahre lang geführt, Annelie gehörte dem GBV 14 Jahre lang an. Der Vorsitzende der IGBAU, Robert Feiger, würdigte Annelie für ihre „Leidenschaft für soziale Gerechtigkeit“ und ihre „klare Kante gegen Rechtsextreme in Betrieben und Parlamenten“.
Reiners acht Jahre an der Spitze des DGB seien „eine gute Zeit für die Gewerkschaften“ gewesen. Die DGB-Gewerkschaften seien heute so geeint wie selten in der Nachkriegsgeschichte und seien ein einflussreicher Faktor in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, so der Vorsitzende der IGBCE, Michael Vassiliadis. Michael überreichte Reiner eine rote Karl-Marx-Statue, Reiner übergab seiner am Morgen gewählten Nachfolgerin ein Plakat, mit dem die studierte Naturwissenschaftlerin sofort etwas anfangen konnte: Die chemische Formel für Klebstoff symbolisiert den Appell, den DGB zusammenzuhalten.
Sie ist 96 Jahre alt, sie hat Auschwitz und Bergen-Belsen überlebt, sie hat jetzt ihr überfallenes Land verlassen und sie ist sich sicher: „Ich habe Hitler überlebt, ich werde auch Putin überleben.“ Das Gespräch mit Anastasia Gulei aus der Ukraine war DER Gänsehaut-Moment des Tages. „Im KZ haben wir jeden Tag und jede Nacht von Freiheit geträumt. Wir waren uns sicher: Wir haben so viel gelitten und so viel verloren, es kann nicht sein, dass wir noch einmal Krieg erleben müssen.“ Aus dem zerstörten Mariupol ist Anastasia Gulei mit ihrer Familie nach Naumburg geflohen. „Ich bin stolz auf mein Volk, wir halten Stand seit dem ersten Tag. Putin hatte gehofft, heute, am 9. Mai, eine große Siegesparade feiern zu können, aber das kann er nicht. Wir leisten weiter Widerstand."