5 Gründe, warum die Verkehrswende kommen wird

Mit dem Positionspapier „Mehr Bahn für die Menschen“ hat die EVG Schwung in die verkehrspolitische Debatte gebracht. Wir stehen mit unseren Forderungen aber nicht allein. Viele Menschen, viele Verbände denken derzeit Mobilität neu.

Wir kommen an einen Punkt, an dem eine grundlegende Änderung unseres Verkehrssystems nicht mehr nur „notwendig“ ist, sondern unausweichlich. Wir listen fünf Gründe auf, warum die Verkehrswende kommen wird.

1) Ohne Verkehrswende sind die Klimaschutzziele der Bundesrepublik gefährdet.

In internationalen Vereinbarungen hat Deutschland sich verpflichtet, bis 2050 die CO2-Emissionen auf Null zu senken. Das geht über Zwischenziele: Schon 2020 sollen die Emissionen um 40 Prozent unter denen von 1990 liegen.

Wenn Deutschland seine Klimaschutzziele verpasst, kann das teuer werden. Denn: Dann müsste die Bundesrepublik sog. Emissionszertifikate kaufen. Das sind quasi Strafzahlungen für anhaltende CO2-Emissionen. Mögliche Kosten: bis zu 36 Milliarden Euro, so eine aktuelle Analyse des Kölner New Climate Institutes.

Hier kommt es nun auf alle Wirtschaftsbereiche an. Verkehr, private Haushalte, Energiewirtschaft, Handel, Industrie, Landwirtschaft haben eigene Emissionssenkungsziele verpasst bekommen. Fünf dieser sechs Sektoren liegen gut im Plan. Im Verkehrsbereich dagegen stagnieren die Emissionswerte – bzw. sind sie sogar um 1% gestiegen. 

Wenn im Verkehrssektor die Hälfte der nötigen Einsparungen erzielt würde, heißt es beim New Climate Institute, „liegen die Kosten zwischen 5 und 26 Milliarden Euro". Klimaschutz ist also kein Luxus. Im Gegenteil: Purer Luxus wäre es, den Klimaschutz nicht voranzutreiben. 

2) Die Städte und ihre Bewohner leiden mehr und mehr unter dem motorisierten Individualverkehr. 

Autofahren bedeutet „Freiheit“ und „Selbstbestimmung“? In Berlin standen Autofahrer im vergangenen Jahr im Schnitt 154 Stunden im Stau (Bundes-durchschnitt: 120 Stunden). Das sind 6,4 Tage. Diese Art von Freiheit wird zum Stressfaktor und schlägt in Unfreiheit um. Und die ist zudem teuer: Durch Zeitverlust, Kraftstoffverbrauch und Abnutzung entstanden durch die Auto-Immobilität jedem Berliner Autofahrer Kosten von 1.340 Euro. Staukosten insgesamt für deutsche Autofahrer: 80 Milliarden Euro im Jahr.

Aber auch die Städte selbst zahlen drauf. Der PKW-Verkehr in einer deutschen Großstadt kostet die öffentliche Hand und die Allgemeinheit etwa dreimal so viel wie der ÖPNV, hat ein Team um den Kasseler Verkehrswissenschaftler Carsten Sommer errechnet. Denn Investitionen in die Infrastruktur und deren Unterhalt sind für alle Verkehrsteilnehmer erforderlich: Beim ÖPNV wird aber ein großer Teil dieser Kosten durch die Fahrgeldeinnahmen wieder zurückgespielt. Der motorisierte Individualverkehr bringt den Kommunen dagegen keine unmittelbaren Einnahmen.

3) Die Menschen sind bereit, das Auto stehen zu lassen, wenn es gute Alternativen gibt.  

Ein Beispiel dafür ist die positive Entwicklung im SPNV seit der Bahnreform. Seit 1996 sind die Länder für die Regionalverkehre verantwortlich. Gegenüber 1996 sind heute 40 % mehr Züge und 80 % mehr Reisende im SPNV unterwegs. Etliche brachliegende Regionalbahnlinien wurden in den vergangenen Jahren wieder-belebt.  

Ein anderes Beispiel ist die ÖPNV-Netzkarte in Wien. In der österreichischen Hauptstadt wurde 2012 der Preis für die Jahresnetzkarte auf 365 Euro gesenkt – und ist bis heute stabil: 1 Euro pro Tag. Seitdem hat sich die Zahl der Nutzer mehr als verdoppelt: von 373.000 auf 780.000. Schon gibt es erste potenzielle Nachahmer. Bonn und Reutlingen erwägen, das Wiener Modell zu kopieren.

4) Eigentlich hat die Verkehrswende bereits begonnen.

In Leipzig gibt es einen Fußgängerbeauftragten, der sich nur um die Belange dieser Verkehrsteilnehmer kümmert. In Münster sind 40 Prozent der Bewohner/innen bereits mit dem Fahrrad unterwegs, nur 32 Prozent mit dem Pkw. Essen, Stuttgart und andere Städte denken bereits darüber nach, Seilbahnen als Teil ihres ÖPNV Systems einzuführen.

Berlin will im kommenden Jahrzehnt 28 Milliarden Euro in den Ausbau des ÖPNV investieren. „Wir möchten, dass die Menschen ihr Auto abschaffen“, so Verkehrssenatorin Regine Günther. "Je weniger Autos auf der Straße, desto mehr Platz für jene, die wirklich auf das Auto angewiesen sind."

Auch der Deutsche Städtetag („Nachhaltige städtische Mobilität für alle“) und der Automobilclub ACE („Grundrecht Mobilität“) haben sich positioniert: Eine andere Art der Mobilität als wir sie heute kennen, ist möglich und notwendig – und machbar.   

5) Die Digitalisierung verändert das Mobilitätsverhalten.

„Mobilität ist so nah wie mein Smartphone“, sagt der ACE-Vorsitzende Stefan Heimlich. Smartphones, Tablets und Apps machen eine ganz andere Organisation des Mobilitätsverhaltens möglich. Sie machen es möglich, Verkehrsmittel anhand einer gewünschten Reise- oder Transportkette „von A nach B“ funktional und individuell zu organisieren. Als „Park&Ride“ fing es im analogen Zeitalter an – im digitalen Zeitalter wird eine echte Vernetzung der Verkehrsträger möglich. „On-demand-Dienste, wie Anruf- oder Bürgerbusse, Anrufsammeltaxis oder private Fahrdienste“, so Stefan Heimlich zur imtakt, „werden immer Ziele zu den liniengebundenen Mobilitätsanbietern haben. Auf neuen Mobilitätsplattformen muss es jedem möglich sein, alle Fahrten zu planen, zu buchen und bezahlen zu können. Gleiches gilt für die Güterverkehre mit Frachtbörsen, Begegnungs-verkehren oder Internetplattformen.“

Fazit

Ideen und Ansätze zur Zukunft der Mobilität gibt es viele. Jetzt ist die Zeit gekommen, die bestehenden losen Enden zu einer neuen Verkehrspolitik zu verknüpfen. „Derzeit sind die Chancen für die Schiene so gut wie lange nicht. Diese müssen dringend erkannt und genutzt werden“, heißt es im Positionspapier der EVG „Mehr Bahn für die Menschen“. Die Kurzfassung dieses Papiers drucken wir auf den Seiten 17-20 dieser imtakt ab, die Langfassung mit vielen Detail- und Hintergrundinformationen kannst du im Internet nachlesen. Nicht wenige sagen derzeit, dass die Eisenbahn das Verkehrsmittel des 21. Jahrhunderts werden kann. Dafür aber müssen die Signale jetzt auf Grün gestellt werden.