Das Fazit kann nur heißen: Nie wieder Krieg

Hans-Werner Schlicht hat die letzten Kriegsjahre und das Kriegsende in Hamburg und Ostpreußen erlebt. Hier hat er seine Erinnerungen an diese Zeit aufgeschrieben.

Hans-Werner Schlicht hat die letzten Kriegsjahre und das Kriegsende in Hamburg und Ostpreußen erlebt. Hier hat er seine Erinnerungen an diese Zeit aufgeschrieben.

Die Zerstörung Hamburgs in drei Tagen

13 Tage nach meinem 8. Geburtstag brach über meiner Heimatstadt Hamburg die Hölle los. In den Nächten vom 26. bis zum 30.07. starb die stolze Hansestadt Hamburg. Nachdem vom 26. auf den 27. Juli die Stadtteile Eimsbüttel - Altona - Hauptbahnhof und der Hafen in einem Feuersturm starben, wurden die Stadtteile Harvestehude, Rothenbaum, Eppendorf, Uhlenhorst und unser Stadtteil Barmbeck, vom 27.07.-28.07. dem Erdboden gleichgemacht!

Nach einem heißen Sommertag von bis zu 30 Grad verwandelte sich Hamburg in eine Hölle aus Feuersturm und Staub mit Windgeschwindigkeiten, die Orkanstärke erreichten. Er schleuderte Menschen, Tier und Gerät in das Zentrum des Grauens. Brandgase und Gasvergiftungen waren zu 70-80 % die häufigsten Todesursachen. Das Phosphor aus den Brandbomben war verheerend. Menschen sprangen vor unseren Augen in die Fleete und starben, weil sie wieder auftauchten und das Phosphor an der Luft weiter brannte. Der Asphalt schmolz auf den Straßen und brachte die Menschen in Asphaltblasen zum Fallen; sie verbrannten durch die Gluthitze.

In der ersten Nacht des Angriffs wurden ich und meine Mutter durch eine Luftmine für 3 Stunden verschüttet, als wir in einen geschützten Keller gegenüber unserer Wohnung flüchten wollten. Nach einer schlaflosen Nacht und einen von Tagesangriffen durch amerikanische Bomber gezeichneten Tag haben wir mit Bangen die Nacht vom 27. Juli auf den 28. Juli 1943 erwartet. Dieses Mal konnten wir durch einen rechtzeitigen Voralarm um 23:40 Uhr in den etwas geschützteren Kellerräumen des gegenüber liegenden Wohnhauses Schutz suchen. Als die Sirenen Entwarnung ankündigten und wir die Kellerräume verlassen konnten, empfing uns eine enorme Hitze, Flammen, Finsternis und eine totale Zerstörung. Auch das Wohnhaus, in dem wir Schutz gesucht hatten, brannte im Dachgeschoss und die Feuerwehr war schon dabei, die Flammen zu löschen. Jetzt waren auch wir ausgebrannt.

Rote-Kreutz-Schwestern nahmen uns auf und erzählten uns von einem Transport, der die Menschen nach Ostpreußen evakuiert und sagten uns, dass ein Transport ab Hamburg - Rahlstedt am Abend abfährt. Wir machten uns auf den Weg und ich bezeichne diesen Weg auch heute noch als den Weg des Grauens.

Da es durch Rauch und Staub nicht Tag werden wollte, stolperten wir durch die zerstörten Straßen und an zerstörten Wohnhäusern vorbei. Hunderte von Leichen links und rechts unseres Fluchtweges begleiteten uns. Menschen durch Phosphor verbrannt und wie verkohlte Baumstämme liegend, säumten unseren weiteren Weg.

Man mag es gar nicht mehr aussprechen, aber die Straßen waren mit dem Leichenfett der durch Phosphor verbrannten Menschen und Tiere kaum noch begehbar. Wir wollten nur noch raus aus Hamburg und das Grauen dieser toten Stadt hinter uns lassen.


Die Evakuierung nach Ostpreußen (Wolitnik bei Heiligenbeil)

Nach langer Fahrt über Berlin und Dirschau erreichten wir unser Ziel: Wolitnik in Ostpreußen, zwischen Heiligenbeil und Königsberg gelegen. Hier wurden wir von der Schwester meines Vaters herzlich aufgenommen. Es war die wohl schönste Zeit für mich, als Kind. Wälder und Felder, soweit das Auge blicken konnte. Von Krieg war nichts zu hören und zu sehen. Lediglich über die zensierten Sendungen im Radio waren wir mit dem übrigen Reich verbunden.

Bis zum Herbst 1944 verbrachte ich als 9-jähriger eine wunderschöne, freie und unbeschwerte Zeit. Keine Luftangriffe und Bombenhagel mehr, sondern eine wunderschöne Stille lag über Ostpreußen. Aber auch diese Zeit ging leider früher, als erwartet, zu Ende.


Flucht aus Ostpreußen und Rückkehr nach Hamburg

Im Oktober 1944 besuchte uns mein Vater auf dem Gut, als er als Lokführer beschädigte Lokomotiven aus Hamburg nach Königsberg zur Reparatur brachte. Nach seiner Meinung waren wir auch in Osten nicht mehr sicher und er glaubte dem Gauleiter Koch kein Wort über die Sicherheit Ostpreußens. Die Rote Armee kam der Reichsgrenze immer näher und die Durchhalteparolen wurden immer lauter: „Kein Russe wird jemals deutschen Boden betreten.“ Flüchten war bei Strafe verboten.

Wir packten unsere Sachen und machten uns auf in die zerstörte Stadt Hamburg. Die Verwandten wollten nicht mit, da sie das Vieh und ihren Acker nicht zurücklassen wollten und nicht glaubten, dass die Russen einmal deutschen Boden betreten würden. Leider haben wir nie wieder etwas von der Tante, dem Onkel und der zwei Mädchen, meine Cousinen, gehört. Sie wurden nach Russland verschleppt.

Nach einer langen, mehrtägigen Fahrt mit einem Lokzug reparierter Maschinen, sowie 2 Personenwagen für das Personal, vorne und hinten einen Rungenwagen mit je einer Vierlingsflak besetzt, ging es auf die Rückreise. Am Tage wurde in Tunneln übernachtet und Schutz vor Tieffliegern gesucht und in der Nacht wurde gefahren. Aber auch nachts wurden wir 2-3 Mal kurz vor Sonnenaufgang von Tieffliegern überrascht und hatten einen Soldaten an der Flak zu beklagen. Am frühen Morgen eines nebeligen Oktobertages waren wir wieder in unserer zerbombten Stadt.


Wieder in Hamburg

In der Rappstraße in Hamburg, nahe Rothenbaumchaussee und Dammer Hbf, hatte mein Großvater eine große Wohnung mit einem Krämerladen und da wir ja ausgebombt waren, konnten wir hier die letzten Kriegstage wohnen. Aber trotz der Zerstörung der Hansestadt Hamburg gaben die Alliierten keine Ruhe und flogen Hamburg immer wieder an. Voralarm und Vollalarm waren unsere tägliche Begleitung. Die Koffer mit den nötigsten Bekleidungsstücken und die Aktentasche mit den Papieren waren ständig griffbereit. Mit Schule und lernen war zu meiner Freude (damals) nichts. Ein paar Nachhilfestunden mit einer ausgebombten Lehrerin, wenn es die Lage zuließ, war alles was blieb vom 1 X 1. Der für uns als nächstes zu erreichende Hochbunker war ca. 5-8 Minuten von unserer Wohnung entfernt und so manche Nacht, wenn die Sirenen Vor- oder Vollalarm ankündigten, ging es mit Koffer und Papieren im Laufschritt in den Bunker.

Das letzte Weihnachtsfest (1944) ist mir noch in guter Erinnerung. Der Heiligabend war schon sehr ärmlich, im letzten Kriegsjahr. Als Weihnachtsbaum hatten wir einen Besenstiel Löcher gebohrt und Tannenzweige in die Löcher gesteckt. Wo mein Opa die Zweige her hatte, war uns ein Rätsel. Ein paar Äpfel aus dem alten Land organisiert, etwas Zucker in der Pfanne geschmolzen und Karamell fabriziert, waren die Höhepunkte. Als Geschenke gab es veränderte Bekleidung und Gestricktes. Wir waren schon im Bett, als nach 24:00 Uhr die Sirenen heulten. Raus aus dem Bett (wir lagen in diesen Tagen immer angezogen im Bett), das Gepäck geschnappt und ab in den Bunker. Im Hochbunker fühlten wir uns endlich sicher, da wir hier schon einige Angriffe überlebt hatten und auch schon mit Bomben auf dem Dach Bekanntschaft gemacht hatten, ohne dass etwas passierte.

Der Bunker hatte 4-5 Stockwerke in der Höhe und mindestens 3-4 Stockwerke nach unten. Wir hatten eigentlich am Heiligabend nicht damit gerechnet, dass die Alliierten einen Angriff fliegen würden und hatten gehofft, dass auch sie bei ihren Familien Weihnachten feiern würden. Aber wir haben uns geirrt. Aus einem kurzen Bunkeraufenthalt wurden es mehrere Stunden. Da unser Hamburg doch schon fast zu 80 % zerstört war und sich am Tage die Angriffe immer mehr Richtung Berlin orientierten, war dieser Angriff doch erstaunlich. Aber rund um die Rothenbaumchaussee und den Dammtorbahnhof, Grindelallee und Universität, standen noch viele unbeschädigte Häuser, die wollte man wohl noch platt machen. Es musste in dieser Nacht, außerhalb des Bunkers, die Hölle gewesen sein. Mehrmals krachte es auf unseren Bunker und neben dem Weinen der Kinder und dem Angstgeschrei der Erwachsenen, fiel auch noch das Hauptlicht aus und das Notlicht ging an. In diesem Durcheinander, Klagen und Weinen, erklang plötzlich aus einer Bunkerecke ein wunderschöner Gesang. Eine Gruppe von 5-6 Nonnen, die im Bunker Schutz gesucht hatten, sang mehrstimmig im Chor unser schönstes Weihnachtslied. „Stille Nacht, Heilige Nacht“, alles schläft, einsam wacht….

Andächtige Stille machte sich breit und nach kurzer Zeit stimmten alle kraftvoll und mächtig in den Chor mit ein. Als die Sirenen Entwarnung ankündigten und die Bunkertüren sich öffneten, schlugen uns Rauch, Feuer und Zerstörung entgegen. Das Haus meines Opas war noch bis auf ein paar kaputte Scheiben in Ordnung.

Das Grauen hat ein Ende

Am Abend des 2. Mai 1945 wird Hamburg kampflos an die britischen Truppen übergeben. Am 3. Mai 1945 um 18:25 Uhr wurde die Stadt offiziell übergeben. Ab 13:00 Uhr bestand Ausgehverbot für die Bevölkerung, außer Versorgungsbetriebe. Natürlich waren wir Kinder trotzdem auf der Straße. Es gab keinen Jubel der Hamburger und keine großen Willkommensbegrüßung. Eher stumm nahmen die Hamburger den Einzug der Engländer hin. Zu tief lag noch das Grauen in ihnen, was die Alliierten mit ihren Bombenangriffen, angerichtet hatten. 55.000 Todesopfer, 40.000 Menschen allein in drei Tagen und 263.000 Wohnungen wurden in den 3 Tagen zerstört.

Was man aber überall spürte, war die große Erleichterung, dass Alles ein Ende hatte und wir überlebt hatten.


Die Zeit danach bis zur Währungsreform

Hallo, wir leben noch, aber mehr tot als lebendig. Bis zur Währungsreform am 20. Juni 1948 begann nach der Kriegszeit die nächste Leidenszeit der Deutschen. Lebensmittelkarten waren uns ja schon bekannt, aber was jetzt an Versorgung zur Verfügung stand, war zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel. Es blühte der Schwarzmarkt und die Tauschbörsen und das Hamstern bei den Bauern war notwendig, um zu überleben. Kein Mangel bestand in Hamburg an den sogenannten Steckrüben, wir nannten sie auch Montgomery-Ananas. Sie waren gekocht unser Brotersatz, gestampft mit Zucker auch Brotaufstrich. Auch roh konnte man sie essen, wenn man es noch schaffte.

Selbstversorgung war angesagt. Hinaus aufs Land. Bei den Bauern wurde alles verhökert, was man noch gerettet hatte. Für ein Pfund Butter oder ein Stück Speck, wurde schon mal die letzte Uhr, Bettzeug oder Hemd und Hose eingetauscht. Man bekam aber auch Alles auf dem Schwarzen Markt (die verboten waren). Zum Beispiel kostete 1 Pfund Kaffee bis zu 2000,00 DM, 1 Zigarette (deutsche Marke) 5-10 Reichsmark, amerikanische Zigaretten wie z.B. Camel oder Lucky-Strike, bis zum 20 Reichsmark. Wer nichts zu tauschen hatte, musste hungern. Wir Jungen und Mädchen kauften uns rezeptfrei „Formaminttabletten“ für den Hals, die so schön nach Pfefferminz, und Magentabletten, die nach Kakao schmeckten. Um eine warme Wohnung zu haben, wurden Kohlen vom Wagen geholt oder die Bäume gefällt (verboten). Zum Friseur musste man Holz oder Briketts mitbringen, sonst blieben die Haare dran. Getreide oder Kartoffeln wurden „nachgesammelt“ und es wurde ganz viel „schwarz geschlachtet“. Die Vorortzüge waren von „Hamsterern“ übervölkert. Sie hingen auf den Trittbrettern und saßen auf den Dächern. Mann, war das gefährlich!!! Und ich immer dabei.

Wir wohnten im Schrebergarten im Behelfshaus und konnten uns mit Hühnern, Enten, Kaninchen, und jährlich ein Schwein, über Wasser halten. Natürlich halfen auch Obst und Gemüse über die Runden. Kaninchen und Enten wurden getauscht und auch das Obst landete meist in „fremde“ Hände.

Wir Jungen lungerten vor den Kasernen der Engländer und Kanadier rum und sammelten die Zigarettenkippen, die die Soldaten uns vor die Füße warfen und versuchten, mit Naziorden Schokolade einzutauschen. Auch sammelten wir Bucheckern und Pilze und verkauften sie auf dem „schwarzen Markt“. Zu dieser Zeit war Schule nur Nebensache. Schachern und Handeln hatten Vorrang, um nicht zu verhungern.

Über diese Zeit gäbe es noch viel zu erzählen, aber wie es auch sei, auch das haben wir überlebt und das ohne Aufarbeitung durch Psychologen. Es hat lange gedauert, bis wieder Normalität in mein Leben eingetreten war und ich wieder über meine Jugend im Krieg reden konnte.

Fazit aus dieser Zeit, kann nur „NIE WIEDER KRIEG“ heißen. Das heißt aber auch, dass wir nach dem Motto „Alle Menschen sind Brüder“ leben müssen und es keine Ausgrenzungen von Menschen geben darf.