Diskussionsrunde der EVG-Jugend: Ein Blick in die Zukunft der Verkehrs- und Wohnungspolitik?

Die EVG-Jugend sieht sich als politische Jugend. Entsprechend pflegen wir den Austausch mit den Jugendverbänden der demokratischen Parteien. Fünf von ihnen hatten wir eingeladen, um ihnen zu aktuell brennenden politischen Themen auf den Zahn zu fühlen.

Die Protagonist:innen 

  • Tim Roschig, Bundessprecher:innenrat der linksjugend [‘solid] (Die Linke)
  • Paavo Czwalik, stellvertretender Vorsitzender der jungen Liberalen (FDP)
  • Sarah Lee Heinrich, ehemalige Bundessprecherin der Grünen Jugend (B90/Die Grünen)
  • Philipp Türmer, Juso-Bundesvorsitzender (SPD)
  • Alisan Yawar, Beisitzer im Bundesvorstand der jungen Union (CDU)
  • Abgerundet wurde die Runde durch den Bundesjugendsekretär der DGB-Jugend: Kristoff Becker.

Abgerundet wurde die Runde durch den Bundesjugendsekretär der DGB-Jugend:
Kristoff Becker. 

Wie könnte der Verkehr der Zukunft aussehen?

Zunächst lässt sich festhalten: Die Vorstellungen der Jugendverbände sind ähnlich, unterscheiden sich aber auch in charakteristischen Punkten.  Die Ansichten der Jugendverbände erstrecken sich von Forderungen nach komplett kostenlosem ÖPNV bis zum komplett privatisierten Schienenverkehr.

Während sowohl die Jusos als auch die Linksjugend [‘solid] für einen kostenlosen ÖPNV plädieren, würden die jungen Liberalen lieber konsequent Netz vom Betrieb trennen und das Schicksal der Eisenbahn in die Hände des freien Marktes legen. Gerade diese Bahn-Privatisierung scheidet die Geister:

Jede Privatisierung ist gescheitert. Zum Beispiel beim Handyempfang: Niemandem geht es besser, wenn man zwischen fünf Netzbetreibern auswählen kann – auch den Beschäftigten dort nicht“, sagt Kristoff Becker, Bundesjugendsekretär der DGB-Jugend. „Die Marktlogik funktioniert hier nicht.“

Die Junge Union hält dagegen: Bei der Deutschen Bahn sei die „Entfernung vom Kerngeschäft“ der große Fehler gewesen. InfraGo sei ein guter Ansatz, um die Zuverlässigkeit zu erhöhen, aber so nicht zielführend. Das Monopol der Deutschen Bahn aufzubrechen, mache Sinn und funktioniere, wie z.B. Flixtrain zeige. Wenn die Gesamtstruktur angegangen würde, sodass der Bund richtig Zugriff auf die Deutsche Bahn habe und sie lenken könne, würde es besser funktionieren.

Paavo Czawlik von den jungen Liberalen sagt, die Infrastruktur gehöre in staatliche Hand. Dazu gehören für die jungen Liberalen die Instandhaltung und der Ausbau der Streckennetze, sowie alles, was für den Betrieb der Strecke notwendig ist. Sie schlagen vor, unrentable Strecken bei Ausschreibungen mit rentablen Strecken zu Paketen zu verbinden, damit auch wirtschaftlich uninteressante Strecken befahren werden.

Für die Grüne-Jugend steht eine Bahn in öffentlicher Hand im Vordergrund. Sie wollen somit erreichen, dass Menschen günstig und zuverlässig von A nach B kommen – gepaart mit guten Arbeitsbedingungen und einer guten Netzabdeckung. Dazu gehört für die Grüne-Jugend auch eine integrierte Bahn: also eine Bahn aus einer Hand – der öffentlichen Hand.

Philipp Türmer von den Jusos beschreibt an einem persönlichen Beispiel, was ihn an der aktuellen Situation der Eisenbahn stört: Er steckte mehrere Stunden in einem liegengebliebenem ICE in der Sonne fest, bis eine Evakuierung organisiert wurde. Zu viele verschiedene Gesellschaften und Stellen seien an diesem Prozess beteiligt gewesen, sagt er. Für ihn ist daher – auch ökonomisch – klar: Ein natürliches Monopol aufzuspalten,mache keinen Sinn. Eine Trennung von Netz und Betrieb mache keinen Sinn. Eine Bahn – ein Konzern. Netz, Bahnhöfe, Züge, Güterverkehr, Sicherheit, Service – alles gehöre zusammen und funktioniere am besten zusammen.

Die Sache mit dem Geld

Bei einem waren sich jedoch alle einig: Das Schienennetz muss ausgebaut werden. Gerade auf dem Land. Doch wo soll das Geld dafür herkommen? Diese Frage trennt die jungen Politiker:innen direkt wieder voneinander.

Für die jungen Liberalen ist klar: Das Geld ist im Staatshaushalt schon vorhanden. Wenn es für die Schieneninfrastruktur eingesetzt werden soll, muss an anderer Stelle gespart werden. Die Jusos hingegen haben eine Lösung parat, bei der nirgendwo gekürzt werden muss: Die Abschaffung (oder zumindest Abschwächung) der Schuldenbremse. Auch die Grüne Jugend ist wenig begeistert von der Schuldenbremse. Die junge Union hingegen findet diesen Weg zu plakativ: „Ich bin kein Fan von einer Steuer auf alles mögliche“, sagt Alisan. Stattdessen könne die Deutsche Bahn nach einer Sanierung auch als kreditwürdiges Unternehmen die entsprechenden Finanzmittel selbst auf dem Kreditmarkt aufnehmen.

Einen dritten Weg schlägt Kristoff von der DGB-Jugend vor: Vermögenssteuer. Die Linksjugend schließt sich an und geht sogar noch weiter: Das Geld sei da – nur an der falschen Stelle: „Bei reichen Leuten chillt das Geld einfach auf dem Konto“, sagt Tim Roschig. Durch Umverteilung könne das Geld wieder für Gemeinschaftsinteressen genutzt werden, sagt er weiter.

Wohnen für alle?

Auf einer Veranstaltung in Berlin muss auch das Thema Wohnen diskutiert werden. Auch hier taten sich große Kluften zwischen den Parteijugenden auf. Für die jungen Liberalen liegt das Problem hier auf der Angebotsseite: Wenn die Wohnungskrise gelöst werden soll, dann müsse mehr Wohnraum entstehen. Das könne durch Abbau von Bürokratie geschehen, sagt Paavo. Planungs- und Genehmigungsverfahren, Öffentlichkeits- und Umweltbeteiligung oder Siedlungsplanung – es gebe viel Potenzial.

Auch die junge Union sieht das Problem im Wohnungsangebot – Alisan spricht sich für mehr Wohnungsbau aus. Privat, aber auch staatlich. Auch die Jusos fordern mehr Wohnungsbau; Philipp schlägt vor, die Ware Boden dem Markt zu entziehen und in 1/3 sozialen, 1/3 genossenschaftlichen und 1/3 privaten Wohnungsbau zu teilen. So könne bezahlbarer Wohnraum für alle entstehen. Sarah-Lee sagt, dass auch zurückverstaatlicht werden müsse: „Den Volksentscheid in Berlin einfach in der Schublade verschwinden zu lassen ist demokratieverachtend.“ Es müsse jetzt etwas passieren, damit wir nicht in 2040 vor den gleichen Problemen stehen.

Kristoff spricht von einem Problem mit der Mietpreisbremse: „Kennt ihr jemanden, der davon profitiert?“ fragt er in die Runde. Niemand kennt jemanden. Mietervereine sagen, die Chance für eine Mietminderung liege bei 50% - viele Vermieter könnten die Kosten aber geschickt so stricken, dass eine Minderung nicht durchgehe, so Kristoff weiter. Die Situation sei frustrierend. Zumindest in diesen Punkt stimmten alle Parteijugendenden zu.

Und nun? 

In einigen Punkten sind die Jungpolitiker:innen sich einig, in anderen liegen sie – teilweise weit – auseinander. Trotz hitziger Debatte konnte die Diskussionsrunde eins zeigen: Eine Debatte über die verschiedenen Positionen ist möglich. Trotz inhaltlicher Differenzen konnten sich sechs Parteien zusammensetzen und über wichtige und kontroverse Themen sprechen. Gerade in demokratiegefährdenden Zeiten und einer zunehmend verrohenden Debattenkultur eine sehr angenehme Abwechslung.

Gemeinsam können wir die Politik der Zukunft mitbestimmen und gestalten. Dafür treten wir auch weiterhin in den Austausch mit Politiker:innen, Parteien und Verbänden. Wir werden bestimmt nicht leise sein – wir werden aktiv für unsere Positionen kämpfen und eine Politik im Interesse der Arbeitnehmenden einfordern. Dafür brauchen wir auch dich! Die nächste Veranstaltung kommt bestimmt, wenn du Zeit und Lust hast, komm gerne vorbei – wir freuen uns auf dich!