„Ich war so fertig. Ich musste einfach weinen“
Jedes Jahr steht die Jury der Allianz pro Schiene vor den gleichen, angenehmen „Dilemma“: Aus tausenden eingesandten Beiträgen für die/den Eisenbahner:in mit Herz müssen sie die Preisträger:innen küren. Allerdings haben bereits die Fahrgäste ihre Favoritin für dieses Jahr gefunden: Anja Szeglat. Eine EVG-Kollegin.
Bus- und Bahnreisende senden jedes Jahr ihre erlebten Geschichten an die Jury der Allianz pro Schiene (ApS). Einsendeschluss für 2024 war Ende März. Der gemeinnützige Verband sammelt die vielen Vorschläge über außerordentliche Erlebnisse mit Bahnbeschäftigen. Dabei geht es oft um rührende, zupackende, beeindruckende und auch um faszinierend-schöne Momente. Dank ihres Organisationstalentes, ihres Herzblutes für die Bahn sowie ihrer Freude an der Arbeit als Zugchefin konnte auch Anja Szeglat bei den Reisenden punkten.
Ihr Engagement und die Last ihrer Entscheidung an diesem Tag beeindruckte die Initiatoren des Wettbewerbs „Eisenbahner:in mit Herz“ ganz besonders. Anja, die Zugbegleiterin der DB Fernverkehr aus Hamburg, steht als Publikumsliebling 2024 bereits fest. Sie begeisterte die Jury mit ihrem außergewöhnlichen Einsatz, um „ihre“ Reisenden pünktlich ans Ziel kommen zu lassen.
Der Tag im Juni 2023 hatte für die Kollegin bereits sehr holprig begonnen. Ihr geliebter Kater war am Morgen gestorben, ihre Dienstuniform wurde verschmutzt und musste schnell gereinigt werden. Dem nicht genug, erhielt sie auf der Strecke Frankfurt - Hamburg die Mitteilung, dass in Kassel krankheitsbedingt kein Personalwechsel stattfinden werde und ihr ICE dort endet. Alle Bemühungen, ein Ersatzteam zu finden, liefen ins Leere. Auch hatte sie keinen Teampartner. Laut Vorschrift darf ein/e Zugbegleiter:in maximal sechs Waggons betreuen.
Mit Nervenstärke zum Liebling der Fahrgäste
Aber die 40-Jährige hat eine Kämpferseele und war nicht bereit, aufzugeben. Per Lautsprecherdurchsage bat sie die Mitreisenden aus den insgesamt 13 Waggons, in den mittleren sechs zusammenzurücken. Anja weiß, wie sie die Menschen anspricht. Ihre Ansagen kann sie nett, witzig oder mit einem charmanten Esprit versehen – je nach Anlass. „Niemand hat gemurrt. Alle wollten, dass der Zug weiterfährt“, so die pfiffige Kollegin.
Anja verschloss die inzwischen leeren sieben Waggons. „Das Gastro-Team half den Fahrgästen beim Gepäcktragen und verteilte Beruhigungs-Schoki“, so die lebensfrohe Zugchefin. Als die Fahrt ungehindert weitergeführt werden konnte, applaudierten ihr die Fahrgäste, wenn sie durch die Wagen kam. „Ich war so gerührt und gleichzeitig so fertig nach diesem Tag, dass ich geweint habe.“
„Hier werden die Alltagsheld:innen stellvertretend für alle Beschäftigten unserer Branche ins Licht gerückt“, lobt Anja den Wettbewerb der ApS. Sie und die vielen tausenden Kolleg:innen würden in ihrem Job jeden Tag alles geben. Dafür erwartet sie das nötige Rampenlicht für alle in der Branche. „Bahn funktioniert nicht immer gleich besser durch höhere Gehälter der Vorstände!“
Die Digitalisierung verändert immer mehr Berufsbilder; so auch im Eisenbahnbereich. Die von Bahnkund:innen eingesandten Geschichten zeigen immer aufs Neue: Ohne Menschen, ohne Herz, geht es bei der Bahn nicht.
Lächelnd, geduldig und hilfsbereit machen sie das Reisen angenehmer. Ihr offenes Ohr, ihre Aufmerksamkeit oder ihr Reaktionsvermögen in brenzligen Situationen ist oft unbezahlbar. Sie sind das Aushängeschild der Eisenbahn. Und was sie leisten, wird kein digitales System je leisten können. Schon gar nicht mit Herz.