imtakt: ÖPNV für lau?
Die Idee eines kostenlosen ÖPNV in Deutschland ist erst einmal vom Tisch. Die Bürgermeister von fünf Kommunen, die von der Bundesregierung als Testfelder ausersehen waren, haben das Projekt abgelehnt. Ausschlaggebend waren Kostengründe.
Warum entbrennt die Diskussion gerade jetzt?
Seit Jahren schiebt die Bundesregierung die dringend notwendige Verkehrswende vor sich her. Jetzt sitzt ihr die EU-Kommission mit einer milliardenschweren Klage im Nacken. Grund sind die dauerhaft überhöhten Schadstoffbelastungen in unseren Städten. Dieser Zustand soll sich nun alsbald ändern. So könnte der ÖPNV bundesweit kostenlos angeboten werden. Für bessere Luft und weniger Umweltbelastungen. So weit, so gut. Oder?
Welche Reaktionen gibt es?
Erste Begeisterung schlägt in Ungläubigkeit, Skepsis und Kritik um. Verkehrsexperten und Vertreter der Kommunen reagieren mit einer Mischung aus „wirkungslos“, „undurchführbar“. Die Hauptfrage: Wie soll ein komplett kostenloser ÖPNV finanziert werden? Angela Merkel und Co. müssten dafür mindestens 12 Milliarden Euro jährlich zur Seite legen. Der Verkehrs-Club-Deutschland (VCD) fordert, dass diese Kosten von den Autoherstellern getragen werden sollen. Allein die Umwidmung der Dieselförderung brächte rund 8 Milliarden Euro pro Jahr. Die Allianz pro Schiene greift die EVG Forderung nach einer Halbierung der Trassenpreise auch im Personenverkehr auf.
Warum auf das Auto verzichten?
Immer mehr Menschen nehmen lange Wege zum Arbeitsplatz in Kauf und nutzen dafür den ihren Pkw. Im vergangenen Jahr rund 20 Millionen Frauen und Männer. Das ist bisheriger „Pendler-Rekord“. 2017 war deshalb auch das Stau-Rekordjahr, so der ADAC. Gleichzeitig erschrickt der Umstand, dass der Deutschen liebstes Kind im Schnitt 23 Stunden am Tag nur rumsteht. Rund 46 Millionen Autos bundesweit verstopfen fahrend oder stehend die Straßen, kosten Geld und Zeit. Offenbar haben das auch einige Autofahrer erkannt und sind umgestiegen. Entweder aus Verzweiflung, Umweltbewusstsein oder einem Mix aus Beidem haben in 2017 wieder mehr Menschen den ÖPNV genutzt. Deswegen scheinen die Rufe nach einem Ausbau berechtigt.
Was könnte die Lösung sein?
Mobilität ist eine Frage kluger Vernetzung. Technisch sei alles dafür vorhanden – es fehle an geistiger Mobilität, kritisieren Umweltaktivisten und Verkehrsexperten seit Jahren. Ist geklärt, wer die immensen Folgekosten für mehr Fahrgäste, Fahrzeuge, Personal und Infrastruktur trägt, könnte ein Umstieg sogar ohne Kostenfreiheit gelingen, prognostizieren die ÖPNV-Unternehmen. Beispiel Wien. In der österreichischen Hauptstadt kostet ein ÖPNV-Jahres-Abo 365 €/Jahr – also 1 Euro pro Tag. In der estnischen Hauptstadt Tallinn ist das Fahren mit Bussen und Bahnen seit 2013 kostenfrei. Saubere Luft geht auch anders, beweist die dänische Hauptstadt Kopenhagen. Seit 25 Jahren hat sie dem Autoverkehr ein Prozent Fläche weggenommen und dem Nahverkehr zugeschoben. Die Stadt ist heute Vorreiter moderner Mobilität.
Wie wahrscheinlich ist eigentlich die Umsetzung der Idee?
Die EU-Kommission will bis Mitte März entscheiden, ob sie Deutschland und die anderen Sünder vor den EuGH bringt. Lassen die Brüsseler Marktwächter davon ab, ist Berlin am Zug und müsste sein ÖPNV-Gedankenspiel realisieren. Verkehrsexperten rechnen mit mindestens 10 Jahren Umsetzungsphase, bis alles reibungslos funktionieren kann.
Was sagt die EVG?
Eine nachhaltige Verkehrswende ist eine langjährige Forderung der EVG. Ob kostenlose Busse und Bahnen das A und O sind, bezweifelt der EVG-Vorsitzende Alexander Kirchner: "Vielmehr brauchen wir ein Nahverkehrsangebot, das Lust darauf macht, morgens mit Bus und Bahn ins Büro zu fahren. Heute sind Zugausfälle, Verspätungen und teils übervolle Züge die Regel. Das ermuntert niemanden, sein Auto stehen zu lassen.“ Die EVG hält an der r Forderung nach einer s Verkehrswende fest. Sie muss umweltfreundlich, sicher und bürgernah gestaltet sein. Politische Schnellschüsse und Notoperationen haben dabei noch nie geholfen.
Was sagen die EVG-Mitglieder?
Die Meinungen sind geteilt, das hat unsere facebook-Umfrage ergeben. 46 Prozent sprechen sich für den kostenlosen ÖPNV aus, 54 Prozent dagegen.