Mehr Bahn für die Menschen: „Die Verjüngung der Infrastruktur ist alternativlos!“
Die EVG fordert eine klare und entschiedene Förderung der Schiene. Dafür muss vor allem Geld für die Infrastruktur fließen. Hintergründe dazu von Veit Sobek, GBR-Vorsitzender der DB Netz AG.
Die 270 Betriebsräte der DB Netz AG haben den Bundesministern Scheuer, Scholz und Schulze (Verkehr, Finanzen, Umwelt) einen Brandbrief gesendet. Warum jetzt?
Es geht um die Zukunft des Systems Schiene in Deutschland mit seinen rund 200.ooo Kolleginnen und Kollegen. Die Bahnreform von 1994 hat eine neue funktionierende Struktur vorgesehen. Was ist aber seitdem passiert? – Die Schieneninfrastruktur des Bundes ist chronisch unterfinanziert. Ihr Nutzungsalter und die damit verbundene Störanfälligkeit belastet die Beschäftigten in der Instandhaltung, Instandsetzung aber auch im Betriebsdienst massiv. Jedem muss klar sein: Funktioniert die Infrastruktur, funktioniert auch die Eisenbahn in Deutschland wieder. Die Verjüngung der Infrastruktur sowie die Schaffung von mehr Kapazitäten ist daher nicht nur für uns, sondern für die Eisenbahn in Deutschland alternativlos!
Was müsste sich ändern?
Deutschland muss sich vor dem Hintergrund der Diskussionen um Klima- und Umweltschutz schnellstens entscheiden, welche Eisenbahn es künftig haben möchte. Vorbild ist hier eindeutig die Schweiz: Ihre Eisenbahn ist pünktlich, zuverlässig, bequem und hat mittlerweile auch ausreichend Kapazitäten. Die Alpenrepublik investierte z.B. im Jahre 2017 rechnerisch pro Einwohner 362 Euro im Jahr in Neu- und Ausbau ihrer Bahninfrastruktur. Mit 67 Euro ist Deutschland seit Jahren eines der europäischen Schlusslichter bei den Investitionen in die Eisenbahninfrastruktur. Wäre in Höhe der Schweizer pro-Kopf-Investition so viel Geld in die deutsche Bahninfrastruktur geflossen, hätten wir heute keine Bahnkrise, sondern eine Bahninfrastruktur, um die uns Europa beneiden würde. Wir kämpfen seit 20 Jahren um mehr Geld für die Schiene. Jetzt hat Deutschland die Quittung dafür. Ein weiter so kann und darf es nicht geben.
Angenommen, das Geld stünde zur Verfügung. Wären damit alle Aus-, Neu- und Modernisierungsmaßnahmen überhaupt zeitnah umsetzbar?
Wir bauen heute schon an rund 800 bis 850 Baustellen am Tag im Netz. In Spitzenzeiten sind es bis zu 1.200. Dadurch gab es teils immense Störungen. Durch das neu geschaffene Lagezentrum Bau, eine intelligente Kapazitätssteuerung sowie Bündelung von Baumaßnahmen sind sie beherrschbar geworden. Verspätungen und Qualitätseinbußen konnten auf das unvermeidlich notwendige Maß reduziert werden. Lassen wir das Netz aber jetzt auf Grund fehlender Finanzen noch älter werden, hätten wir bald nur noch Baustellen und gesperrte oder eingeschränkte Strecken. Die Alternative wäre kapazitätsschonendes und kundenfreundliches Bauen, was zusätzlich Geld kostet, aber im Koalitionsvertrag der Bundesregierung fest verankert aber bis heute nicht finanziert ist. Klotzen nicht kleckern lautet hier die Devise. Erstmals ab 1. Juli wird dieses auf der Strecke zwischen Hannover – Göttingen angewendet und erprobt. Innerhalb von sechs Monaten soll die Strecke komplett erneuert werden. Der gesamte Oberbau, teilweise mit LST, Oberleitungen und alle Weichen werden in kürzester Zeit mit viel Aufwand erneuert. Ziel ist es, nach Abschluss der Bauarbeiten Ruhe zu haben und unseren Kunden ein verlässliches Netz zur Verfügung zu stellen. Wären wir in der Lage, alle 800 Baustellen unter vollständiger Ausnutzung der Sperrpausen und mit dem Einsatz von Großmaschinen, Technik und einer zeitgerechten Bautechnologie in der Hälfte der vorgegebenen Zeit abzuwickeln, gäbe es rechnerisch nur noch 400 Baustellen. Heißt: Wir wären in der Lage, die doppelte Menge an Baustellen zu bewältigen, wenn wir unter diesen Voraussetzungen bauen und arbeiten könnten. Das Netz verträgt das! Aber: Dafür brauchen wir mehr Geld. Für die Bahn. Für die Menschen. Für die Zukunft unseres Landes, aber auch für die CO 2 Wende in Deutschland.