Schienengüterverkehr: Immer mehr Kritik an gekürzter Förderung

Mit der Kundgebung während des Gewerkschaftstages hat die EVG klargestellt: Der Schienengüterverkehr braucht mehr Förderung und nicht weniger! Die aktuellen Haushaltspläne des Bundes sind da eine völlig falsche Weichenstellung.

Demonstration am 19.10. vor dem Bundesverkehrsministerium

Das sehen auch Vertreter der Industrie so. Jetzt hat sich auch der Arbeitsdirektor von Evonik, Thomas Wessel, zu Wort gemeldet und die Wichtigkeit des Schienengüterverkehrs unterstrichen.

Die Schiene sei ein wichtiger Verkehrsträger für die chemische Industrie, so Wessel in einem Interview mit evg-online.org. „Wenn die Versorgung unserer Standorte sowie der Abtransport unserer Güter nicht mehr gewährleistet sind, besteht das hohe Risiko, das empfindliche Lieferketten gestört werden.“ Gerade die chemische Industrie sei intensiv mit anderen Branchen vernetzt. „Wenn wir unsere Produkte nicht mehr vom Hof kriegen (…) spürt das Im Ergebnis die gesamte Wirtschaft.“

Der Gütertransport auf der Straße sei keine Alternative, so Wessel weiter. Die Straßen ausgelastet, es fehlen Fahrer: „Die großen Ladungsmengen, die längere Distanzen zurücklegen, werden über die Schienen am sichersten und klimafreundlichsten transportiert. Die Verlagerung zurück auf die Straße kann auch politisch nicht gewollt sein.“

Der Evonik-Personalchef forderte, dass die Kapazitäten im Schienennetz erhöht werden und dass es ausreichend finanzielle Mittel im Bundeshaushalt gibt: auch „um die Themen Automatisierung und Digitalisierung im Schienengüterverkehr noch stärker voranzutreiben und personalpolitische Maßnahmen, um gezielt Fachkräfte (insbesondere Lokführer) zu gewinnen, zu entwickeln und durchzusetzen."

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„Drei Fragen an“ Thomas Wessel, Personalvorstand und Arbeitsdirektor von Evonik Industries AG

Nach den aktuellen Haushalts- und Finanzplanungen ist zu befürchten, dass der Gütertransport auf der Schiene teurer wird, der Einzelwagenverkehr evtl. sogar ganz eingestellt wird. Was würde das für Ihr Unternehmen bedeuten? 
Die Schiene ist mit Blick auf Zweckmäßigkeit und Sicherheit ein wichtiger Verkehrsträger für die chemische Industrie. In 2020 wurden allein in Deutschland 24,8 Millionen Tonnen chemische Erzeugnisse mit der Bahn transportiert. Damit verantwortet unsere Branche 7,8 Prozent der gesamten Beförderungsmenge im Schienengüterverkehr (= 320,1 Mio. Tonnen). 

Die aktuell bestehenden Einschränkungen durch die Sanierungsarbeiten auf für uns wichtigen Streckenabschnitten betreffen bereits rund 80% unserer Bahntransportverbindungen. Dies stellt eine Gefährdung für grundlegende Betriebsabläufe bei Evonik und in der gesamten chemischen Industrie dar. Wenn die Versorgung unserer Standorte sowie der Abtransport unserer Güter nicht mehr zuverlässig gewährleistet ist, besteht das hohe Risiko, dass empfindliche Lieferketten gestört werden. Als „Mutter aller Industrien“ ist die chemische Industrie eng mit anderen, weiterverarbeitenden Branchen und Wirtschaftszweigen verbunden. Soll heißen: Wenn wir unsere Produkte nicht mehr vom Hof kriegen, unsere Produktion dadurch abfahren müssen, spürt das im Ergebnis die gesamte Wirtschaft.

Wäre der Lkw-Transport eine Alternative? 
Nein. Eine Verlagerung der Transporte auf die ohnehin bereits überlasteten Straßen der Bundesrepublik sind keine Alternative. Zudem fehlen uns Lkw-Fahrer. In Europa fehlen 500.000 Fahrer, in Deutschland 50.000. Das engt den Handlungsspielraum der Chemiedistribution zurzeit zusätzlich ein. Die großen Ladungsmengen, die längere Distanzen zurücklegen, werden über die Schiene am sichersten und klimafreundlichsten transportiert. Eine Verlagerung zurück auf die Straße kann auch politisch nicht gewollt sein. Daneben erfüllt die Bahn als sicherer Verkehrsträger wichtige gesetzliche Sicherheitsbestimmungen für Gefahrengüter. Gerade diese Güter haben auf der Straße nichts zu suchen.

Was sind jetzt aktuell Ihre Erwartungen an die Bundesregierung und den Bundestag?
Konkret erwarten wir, dass die Kapazitäten im Schienennetz erhöht und zusätzliche Schienenverkehrswege errichtet werden, um a) Konflikte mit dem Personenverkehr zu vermeiden sowie b) um Ausweich- und Entlastungsstrecken zu schaffen. Darüber hinaus brauchen wir ein moderneres Baustellenmanagement und konstruktiveren Dialog mit den Bahnkunden. Es ist gut, dass der Bundesverkehrsminister eine „Beschleunigungskommission“ eingerichtet hat. Unverständlich ist aber, dass in der Kommission wir als Kunden nicht vertreten sind. Das sollte geändert werden. Um weitere Baumaßnahmen schneller in Angriff nehmen zu können, ist die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren dringend notwendig. Und es bedarf ausreichend finanzieller Mittel im Haushalt. Auch um die Themen Automatisierung und Digitalisierung im Schienengüterverkehr noch stärker voranzutreiben und personalpolitische Maßnahmen, um gezielt Fachkräfte (insbesondere Lokführer) zu gewinnen, zu entwickeln und durchzusetzen.

Eindrucksvolle Demonstration am 19.10.2022 vor dem Bundesverkehrsministerium