Wir fragen. Parteien antworten.
Am 26. September wird ein neuer Bundestag gewählt. Aber nicht nur auf Bundesebene wird das Kreuz gemacht, auch Berlin stimmt über die Zusammensetzung des Abgeordnetenhauses und der Bezirksverordnetenversammlungen ab. Wir haben dazu den Parteien in der Hauptstadt auf den Zahn gefühlt.
In fünf digitalen Veranstaltungen haben Mitglieder der Berliner EVG die Positionen abgeklopft. Im Mittelpunkt standen besonders die Verkehrs- und die Wohnungspolitik, zwei brennende Themen an der Spree. Es offenbarten sich teils deutliche Unterschiede in den Positionen, anders herum gab es auch überraschende Übereinstimmungen.
Verkehrspolitisch arbeiteten sich die Vertreter von SPD, CDU und FDP zunächst an der S-Bahn-Ausschreibung ab. Überraschend dabei war, dass sich die grüne Verkehrssenatorin Regine Günther die kräftigste Ohrfeige von Koalitionsfreund Sven Heinemann abholte. Die Ausschreibung zeige, „wes Geistes Kind die Verkehrssenatorin ist“, wetterte der Vermögensexperte der Berliner SPD-Fraktion. Sie setze alles darauf, die S-Bahn zu filetieren. Das habe man bisher verhindern können, die Gefahr sei aber noch nicht gebannt. Es sei deshalb wichtig, dass die SPD im künftigen Preußischen Landtag stärker werde als die Grünen. Denn es gebe einen „Parlamentsvorbehalt, der eine unsinnige Vergabe stoppen kann.“ Heinemann sprach sich dafür aus, die S-Bahn weiter aus einer Hand zu betreiben.
In die gleiche Kerbe schlug CDU-Generalsekretär Stefan Evers. Es gebe „Ausschreibungsmängel“ und es sei „offenkundig, dass die Herangehensweise des Senats erhebliche Fragezeichen aufwirft“. Wettbewerb sei sinnvoll, das Verfahren hätte anders kommen müssen. Auch Evers plädierte für Leistungen aus einer Hand und unterstrich, dass er die DB als Betreiber „nicht für unfähig“ halte. Auch die Ausbildung von Personal könne Ausschreibungskriterium sein. Und es gelte, dass „Einkommensbedingungen mindestens gleich, gerne aber auch besser“ sein müssten.
Leistungen aus einer Hand sieht FDP-Verkehrsexperte Henner Schmidt kritisch. Man sei damit im Grunde dem bisherigen Anbieter ausgeliefert. Die Ausschreibung sei „so gestrickt, dass sich praktisch nur einer bewerben kann.“ Es gehe aber um sehr viel Geld, das möglicherweise im gesamten ÖPNV dann fehle. Der Liberalen-Politiker betonte, dass es nicht das Ziel sei, Beschäftigte einzusparen oder Gehälter zu kürzen. Wettbewerb sei sinnvoll, weil Kosten gesenkt werden könnten.
Grünen-Landeschef Werner Graf verteidigte das Vorgehen der Verkehrssenatorin und legte auch Zahlen auf den virtuellen Tisch. Es gehe nämlich darum, dass „Berlin künftig nicht mehr über den Tisch gezogen wird“. Das Land zahle „jährlich 50 Millionen Euro zu viel für die S-Bahn“, monierte Graf. Und dieses Geld komme weder der Verkehrswende noch den Arbeitnehmern zugute. Es versickere praktisch in der DB AG, die damit Verluste an anderer Stelle ausgleiche. Dem Konzern warf er vor, Berlin mit seinen Forderungen „zu erpressen“. Und nun sei, „dank Linken und SPD“ die Ausschreibung auch noch so angepasst worden, dass sich praktisch nur die DB bewerben könne.
Der Berliner Grünen-Chef verlangte hingegen, „eine Rekommunalisierung der S-Bahn“. Dann könnten nämlich Gelder für die Verkehrswende auch tatsächlich für diese eingesetzt werden. Die Schaffung eines „landeseigenen Fuhrparks sei „ein erster Schritt“ gewesen. Für die Arbeitnehmer sieht er bei der jetzigen Ausschreibung keine Probleme. Es seien Fachkräfte und die würden gesucht. Die Arbeitnehmer hätten eine „wahnsinnig starke Position“. Komme es doch anders, werde eine Auffanggesellschaft Lösungen finden. Applaus für das Vorhaben einer „Kommunalisierung“ kam von Linken-Verkehrsexperte Kristian Ronneburg. Er will „raus aus dem Geflecht der Ausschreibungen“, Berlin müsse sich eben, analog der BVG, an der S-Bahn beteiligen. Die jetzige Ausschreibung müsse auch nicht zu Ende geführt werden. Der Linken-Politiker räumte aber ein, dass es dazu innerhalb der Koalition keinen Konsens und somit auch kein fertiges Konzept gäbe.
SPD-Vertreter Heinemann kündigte hingegen an, dass dem künftigen Beirat der Landesanstalt für Schienenfahrzeuge Vertreter der EVG angehören sollten. Die SPD werde jedenfalls Mitglieder unserer Gewerkschaft benennen, denn hier „herrscht der größte Sachverstand“. Der künftige Beirat soll aus sechs bis zehn Mitliedern bestehen und die Landesanstalt begleiten, die den künftigen S-Bahn-Fahrzeugpark verwaltet.
Grünen-Vorsitzender Graf lobte die bisherige Verkehrspolitik in Berlin, die von einer Grünen Senatorin verantwortet wird. Man habe den ÖPNV ausgebaut, neue Wagen bestellt bei U-Bahn und S-Bahn und neue Busse in Dienst gestellt. Die Verkehrswende komme voran. Nicht ganz so rosig sieht das Kristian Ronneburg. Es werde noch viel zu diskutieren sein, betonte der Verkehrspolitiker der Linken. Dazu gehörten auch Pläne für ein 365-Eurto-ÖPNV-Ticket nach dem Vorbild Wiens. Ein solches Ticket dürfe den ÖPNV nicht vor „Kapazitätsprobleme“ stellen. Außerdem sei die Finanzierung nicht geklärt. „Das kostet 200 Millionen Euro. Woher kommt das Geld“, fragte der Verkehrsexperte.
Unzufrieden zeigte sich der verkehrspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Henner Schmidt. Die Berliner Politik führe „zurzeit einen Kampf Auto gegen Fahrrad“, meint er. Der ÖPNV und auch der Fußverkehr komme viel zu kurz. Generell müsse schneller und „fokussiert“ gehandelt werden. Planungen sollten entschlackt, Projekte identifiziert werden. Das müsse für die Dauer einer Legislaturperiode gelten. Schmidt forderte auch den Ausbau der U-Bahn, „mindestens ein Projekt.“
Bei der Wohnungspolitik zeigte sich in einigen Teilen ungeahnte Einigkeit zwischen CDU und SPD. Beide sprachen sich beispielsweise gegen das laufende Volksbegehren „Deutsche Wohnen und Co enteignen“ aus. Der Ansatz führe in eine noch „üblere Sackgasse“, meinte Unions-Mann Evers. Einen „falschen Weg“ sieht auch sein SPD-Kollege Heinemann. Zudem sei er nicht sicher, ob das Ansinnen überhaupt verfassungskonform sei. Während aber der CDU-Mann glaubt, dass die bundeseinheitliche Mietpreisbremse wirke und zusätzlich der Wucherparagraph geschärft werden müsse, um schwarze Schafe strafrechtlich belangen zu können, findet der SPD-Vermögensexperte, dass der in Berlin gescheiterte Mietendeckel nun per Bundesgesetz kommen müsse. Einigkeit besteht wieder, dass mehr gebaut werden solle. Heinemann will Wohnungen weiter ankaufen, wo das durch Vorkaufsrechte möglich ist. Evers will innerstädtische Lücken erschließen und bebauen, beispielsweise den Rand des Tempelhofer Feldes.
Auch FDP-Politiker Schmidt will mehr bauen. Er sieht als Grund für explodierende Mieten die große Nachfrage nach Wohnraum. „Neubau ist der allergrößte Hebel“, unterstrich Schmidt. Mehr Baugebiete müssten ausgewiesen werden, der Dachausbau solle forciert werden. Um geringere Einkommen zu unterstützen, schlägt er beim Neubau eine „Quote mit niedrigen Mieten oder direkte Zuschüsse“ an die Menschen vor. Ein Mietendeckel helfe nicht, „wenn man eine Wohnung sucht oder zuziehen will“.
Grünen-Frontmann Graf sieht den Wohnungsbau auf gutem Weg. Laut „Zuzugsprognose werden in den kommenden neun Jahren 60 000 Wohnungen benötigt.“ Es gebe aber bereits Genehmigungen für 65 000 Quartiere. Zuletzt seien 18 000 bis 20 000 Wohnungen neu gebaut worden. Allerdings werde es darum gehen, „schneller und höher zu bauen“, um Flächen besser auszunutzen. Jedoch solle vor allem das in die Höhe Bauen an Bedingungen geknüpft werden. „Je ökologischer und sozialer, desto höher“, meint Graf. Der Wohnungsmarkt müsse aber auch stärker an die Leine gelegt werden. Es müssten weitere Milieuschutzgebiete ausgewiesen werden, Ziel müsse weiterer Ankauf von Immobilien durch die öffentliche Hand sein. Auch die Verhinderung von Zweckentfremdung solle verschärft werden. Und, da herrscht Einigkeit mit den Sozialdemokraten, der Mietendeckel müsse auf Bundesebene kommen. Da hakt auch Linken-Politiker Ronneburg ein, der Bund sei in der Pflicht. Und er betont: „Der Wohnungsneubau muss forciert werden, Wohnungsgesellschaften müssen verpflichtet werden zu bauen.“ Die Bestände großer Immobilienunternehmen will Ronneburg, mit Blick auf das laufende Volksbegehren zur Enteignung großer Immobilien-Unternehmen, „öffentlich-rechtlich verwalten und in den Bestand kommunaler Wohnungsgesellschaften überführen.“ Genossenschaften sollten überhaupt nicht enteignet werden.