Zum 100. Todestag: Minna Cauer - bürgerlich & radikal für die Frauenrechte

Wilhelmine „Minna“ Theodore Marie Schelle wurde am 01.11.1841 als drittes von vier Kindern des Pfarrers Alexander Schelle und dessen Frau Juliane in Freyenstein (Brandenburg) geboren. Mit 16 Jahren machte sie ihren Abschluss an einer höheren Töchterschule, doch sie musste ihren Plan, ein Lehrer:innenexamen zu machen, zunächst aus gesundheitlichen und aufgrund mangelnder Vorbildung aufgeben.

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Sie heiratete 1862 den Arzt August Latzel. Das Paar hatte einen Sohn, der 1865 im Alter von zwei Jahren starb, kurz darauf verstarb auch August Latzel. Mit Nachhilfestunden finanzierte Minna ihre einjährige Ausbildung zur Lehrerin. Sie ging zunächst nach Paris, um mit ihrem bisherigen Leben abzuschließen. 1869 zog sie nach Hamm und unterrichtete an der Töchterschule. Dort lernte sie Eduard Cauer kennen, Verfechter einer Reform der Frauenbildung und Direktor der Mädchenschule. Eduard Cauer war Witwer und Vater von fünf Kindern, die beiden heirateten schließlich. Sie zog mit ihm zunächst nach Danzig und schließlich 1876 nach Berlin, wo sie erste Kontakte zu liberalen Politiker:innen und der bürgerlichen Frauenbewegung knüpfte.

Nach dem Tod Eduards 1881 lebte sie einige Jahre in Dresden und setzte sich wissenschaftlich mit der Geschichte der Frauen auseinander. Nach einigen Jahren in Dresden kehrte Minna nach Berlin zurück und unterrichtete Geschichte in einem Pensionat.

1887 wirkte sie – noch unter der Federführung der Pädagogin Helene Lange (wir hatten über diese bei Hermine (Heusler-) Edenhuizen berichtet) - an einer Petition an das Preußische Abgeordnetenhaus für eine bessere Mädchenbildung mit; 1888 war sie Mitbegründerin des Berliner Vereins „Frauenwohl“, den sie bis 1919 leitete.

Minna Cauer war eine glänzende Rednerin und vehemente Streiterin für das Frauenstimmrecht, sie setzte sich ein für die Unterstützung lediger Mütter und die freie Berufswahl der Frauen. Um 1899 kam es zu einem Zerwürfnis mit anderen führenden Frauenrechtlerinnen. In der Folge spaltete sich der Verein Frauenwohl unter Cauers Leitung als sogenannter „radikaler“ Flügel von der fortan als „gemäßigt“ bezeichneten Mehrheit in der Frauenbewegung ab.

In diesem neuen Verband schlossen sich die Vereine zusammen, denen die Politik des „Bundes Deutscher Frauenvereine“ zu defensiv erschien. Die radikalen Frauenrechtlerinnen kämpften öffentlich-offensiv und forderten unter anderem das Wahlrecht für Frauen. Sie kritisierten die fehlende Gleichberechtigung der Frauen im Entwurf zum neuen Bürgerlichen Gesetzbuch, bekämpften sexuelle Belästigung & Gewalt sowie den § 218 (Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen) und Frauenhandel.

Bereits 1895 hatte Minna Cauer die Zeitung „Die Frauenbewegung“ gegründet, die sie bis 1919 herausgab. Nach dem Zerwürfnis von 1899 wurde „Die Frauenbewegung zum Sprachrohr der „Radikalen“. 

Im Jahr 1908 schloss sie sich der neu gegründeten Demokratischen Vereinigung an, die als erste bürgerliche Partei in Deutschland das uneingeschränkte Wahlrecht für Frauen forderte. In den letzten Jahren ihres Lebens jedoch glaubte sie nicht mehr, dass die bürgerlichen Parteien den Mut hätten, Fortschritte in Gang zu bringen, und richtete ihre Hoffnungen auf die Sozialdemokratische Partei Deutschlands und schätzte – trotz mancher politischen Differenz – Clara Zetkin sehr.

Der Ausbruch des Ersten Weltkrieg erschütterte Minna Cauers zutiefst, sie wurde zur engagierten Pazifistin, die trotz aller Strafandrohungen und einer Pressezensur nicht davor zurückschreckte, in ihrer Zeitung Antikriegsaufrufe zu veröffentlichen.

Im hohen Alter schien sich Cauers Traum vom Frauenwahlrecht erfüllt zu haben: „Ich sterbe als Republikanerin“, schrieb sie begeistert am 9. November 1918, nach Ausrufung der Republik, in ihr Tagebuch.  

Wenngleich Minna Cauer zum „linken“ Flügel der Frauenrechtsbewegung gezählt wurde, lehnte sie dennoch nachdrücklich die Friedensbedingungen des Versailler Vertrages ab und stellte sich noch kurz vor ihrem Tod aktiv der Organisation für die Abstimmung in Oberschlesien zur Verfügung. Einen freundschaftlichen Umgang pflegte sie mit dem liberalen jüdischen Politiker Walter Rathenau. Sie erlebte im Juni 1922 noch dessen Ermordung durch Rechtsradikale aus antisemitischen, nationalistischen und demokratiefeindlichen Motiven in seiner Amtszeit als Außenminister.

Wenig später, am 03.08.1922 (heute vor 100 Jahren), verstarb Minna Cauer im Alter von 80 Jahren in Berlin an einem Herzinfarkt.

Heute sind deutschlandweit Straßen nach ihr bekannt (u.a. in ihrem Geburtsort Freyenstein). Ihr Grab auf dem alten St.-Matthäus-Kirchhof ist seit 1952 ein Ehrengrab der Stadt Berlin. 

Ein Artikel des AK Geschichte der Bundesfrauenleitung.