Es klingt spröde: „Vergaberechtsmodernisierungsgesetz“. Mit diesem Gesetz, Mitte Dezember in Bundestag und Bundesrat verabschiedet, wird ein großer Teil eines anderen Gesetzes neu geordnet, und zwar des „Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen“ (GWB). Unter anderem wird der § 131a neu eingefügt. Was dort künftig steht, klingt auf den ersten Blick nicht spektakulär – und ist doch ein Meilenstein in dem Bemühen, den Wettbewerb im Schienenpersonen-Nahverkehr (SPNV) sozialer und gerechter zu machen.
Im § 131a GWB wird es künftig heißen: Eine Behörde, die Verkehrsleistungen ausschreibt und vergibt, „soll“ den neuen Betreiber verpflichten, vorrangig die Beschäftigten des bisherigen Betreibers zu übernehmen. Dieses „soll“ ist ein kleines Wörtchen mit großer Wirkung. Denn damit wird die Materie des Personalübergangs bei Betreiberwechsel im SPNV zum ersten Mal überhaupt bundeseinheitlich geregelt. Bisher war sie so gut wie gar nicht geregelt. Mit der Reform wird das Vergaberecht ein gutes Stück sozialer, der Schutz der Beschäftigten im Wettbewerb wird erheblich verstärkt.
Im SPNV werden Verkehrsverträge meist alle 10 bis 15 Jahre neu vergeben. Für die Beschäftigten heißt das: alle 10 bis 15 Jahre Ungewissheit über die Zukunft ihrer Arbeits-plätze. Ein neuer Betreiber kann neues Personal einstellen, ohne Rücksicht auf die Beschäftigten zu nehmen, die bisher auf diesen Strecken arbeiten. Diese Ungewissheit wird den Beschäftigten jetzt abgenommen. Die Neuregelung bedeutet: Übernimmt ein neuer Betreiber bestehende Strecken, dann muss er erst den Beschäftigten des bisherigen Betreibers die Übernahme anbieten. Dazu „soll“ ihn die Vergabebehörde schon in der Ausschreibung verpflichten. Schreibt die Vergabebehörde diese Übernahme nicht vor, muss sie diese Ausnahme mit besonderen Umständen des Einzelfalles begründen. Und das kann dann gerichtlich überprüft werden.
Künftig gelten dann die bisherige Bezahlung und die bisherigen Arbeitsbedingungen für ein Jahr weiter. Inwieweit der Schutz der Beschäftigten darüber hinausgeht, hängt von den konkreten Ausschreibungsbedingungen, dem Vergaberecht des jeweiligen Bundeslandes und den geltenden Tarifverträgen ab. Und natürlich von den Beschäftigten selbst. Denn je mehr von ihnen in der EVG organisiert sind, desto bessere Chancen haben wir, dort gute Tarifverträge auszuhandeln.
Dass es diese Neuregelung gibt, dazu hat die EVG wesentlich beigetragen. Seit Jahren schon treten wir sowohl öffentlich als auch in vielen politischen Gesprächen dafür ein, den Personalübergang bei Betreiberwechsel bundesweit verbindlich zu regeln. Unterstützt wurden wir dabei von der Betriebsgruppe Eisenbahn der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA). Rückenwind bekam die EVG durch die Postkartenaktion im Frühjahr 2015: Mehr als 2000 EVG-Mitglieder hatten die der imtakt beigelegte Postkarte ausgefüllt und damit die Forderungen der EVG unterstützt.
Mit der GWB-Novelle wird auch ein Webfehler der Bahnreform zumindest teilweise korrigiert. Vor 20 Jahren, im Januar 1996, ist das Regionalisierungsgesetz in Kraft getreten. Seitdem sind die Bundesländer für den Regionalverkehr auf der Schiene zuständig. Sie vergeben diese Leistungen im Wettbewerb. Das war eine politische Entscheidung. Daher sieht die EVG auch den Bundesgesetzgeber in der Pflicht, die Belange der Beschäftigten im Wettbewerb abzusichern. Die Regionalisierung des SPNV wird oft als Erfolgsgeschichte bezeichnet. Das ist sie auch, wenn man sich die reinen Fahrgastzahlen ansieht. Doch erkauft wurde dieser Erfolg dadurch, dass der Wettbewerb lange Zeit auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen wurde. Erst die EVG macht damit Schluss: mit dem Branchentarifvertrag und jetzt mit der Änderung des Vergaberechts.
Die Gesetzesänderung wird ab dem 18. April greifen – also für alle Vergabeverfahren, die nach diesem Termin bekanntgemacht werden. Bereits laufende Verfahren werden leider nicht erfasst, auch nicht, wenn sie erst zu einem späteren Zeitpunkt zu einem Betreiberwechsel führen. Die EVG appelliert daher an eventuelle neue Betreiber, den Willen des Gesetzgebers zu respektieren und entsprechend zu handeln - auch wenn sie formal nicht dazu verpflichtet sind.
Leider gilt die neue Regelung ausdrücklich nicht für den Busbereich. Die Bundesregierung hat das abgelehnt mit der Begründung, dass im Personenbeförderungsgesetz bereits ein ausreichender Schutz für die Beschäftigten verankert sei. Eine darüber hinaus gehende Regelung würde angeblich die überwiegend mittelständisch geprägte Busbranche überfordern. Das sieht die EVG anders. Denn der Ausschreibungswettbewerb im Busbereich ist noch härter als im SPNV. Die Ausschreibungen sind noch kleinteiliger, die Laufzeiten der Verkehrsverträge kürzer. Hier werden wir dran bleiben.
Und: Wir wollen als Fernziel nicht eine Soll-, sondern eine Muss-Bestimmung. Unser Weg dahin wird sein, die Regierungen der Bundesländer zu überzeugen, in ihren Landesvergabegesetzen entsprechende Regelungen einzufügen. Erste positive Anzeichen dafür gibt es bereits: Rheinland-Pfalz will eine entsprechende Regelung einführen.