Vor dem Hintergrund wachsender Übergriffe auf Bahn-Beschäftigte, fand am Donnerstag in Erfurt die erste EVG-Sicherheitskonferenz des Landesverbandes Thüringen statt. Dabei teilten unsere Kolleg:innen im Beisein von Politik und Arbeitgebern offen ihre Erlebnisse. Der neue Landesverkehrsminister kündigte zur Konferenz Verbesserungen an.
Als Sandra Tiersch-Noack das Mikrophon in die Hand nahm, herrschte unter den mehr als 40 Teilnehmenden im Saal eisiges Schweigen. Seit mehr als 30 Jahren arbeitet die Kollegin bei der Deutschen Bahn im Vertrieb und ist ständig im Kontakt mit Kunden. „Man steckt 100-mal weg, was einem an den Kopf geknallt wird. Aber beim 101 Mal ist es zu viel“, berichtete die Kundenbetreuerin im Reisezentrum am Erfurter Hauptbahnhof. Eigentlich ging es lediglich um eine Fahrpreisnacherhebung, doch schnell eskalierte die Situation. Nach heftigen Beleidigungen drohte der Fahrgast: „Wir sehen uns, ich warte draußen auf dich.“ An diesem Tag sei sie in sich „zusammengesackt“, musste vier Wochen krankgeschrieben zu Hause bleiben.
Doch nicht immer bleibt es bei Androhungen von Gewalt. Zugchefin Sarah Uehling von DB Fernverkehr wurde auf einer Fahrt nach Hamburg von einem Fahrgast gewaltsam an die Wand gedrückt. Ihre Kollegin vom Bordgastronomie erlitt durch die Schläge des Gewalttäters eine schwere Gehirnerschütterung.
Berichte wie diesen prägten die Konferenz, die sich schnell zu einem offenen Gespräch zwischen den Teilnehmenden auf Augenhöhe entwickelte. Steffen Schütz, der neue Thüringer Verkehrsminister, zeigte sich von den Berichten sichtlich betroffen und bedankte sich für die Offenheit. Der BSW-Politiker hat bereits im Vorfeld zur Sicherheitskonferenz eine Erhöhung der Mittel für mehr Sicherheitspersonal angekündigt. „Wir wollen die Sicherheit für das Fahrpersonal und die Fahrgäste spürbar erhöhen“, so Schütz.
Die EVG-Vertreter gaben ihm für sein neues Amt einige Hausaufgaben mit. Thüringens EVG-Chef Mario Noack forderte mit Dringlichkeit eine Doppelbesetzung in den Zügen. Berufen kann er sich dabei auch auf die jüngste EVG-Sicherheitsumfrage, wonach 98 % der Befragten angaben, dass eine Doppelbesetzung das Sicherheitsempfinden spürbar verbessern würde. Dafür brauche es jedoch strukturelle Veränderungen durch die Politik.
Konkret geht es hier um die sogenannten Ausschreibungen im Schienenpersonennahverkehr (SPNV). Einer der versiertesten Fachexperten auf diesem Gebiet ist Christian Gebhardt von mobifair, der alle Vergaben durchleuchtet und den Finger in die Wunde legt, wenn Regelungen zum Nachteil der Beschäftigten gestaltet werden. Gebhardt kritisierte Politik und Arbeitgeber, die sich beim Thema oftmals gegenseitig die Verantwortung zuschieben würden. „Dieses Ping-Pong-Spiel bringt uns nicht weiter.“
Gebhardt analysierte in seinem Vortrag die finanziellen Schieflagen der verschiedenen SPNV-Unternehmen und kritisierte Einsparungen beim Personal. „Es gab mal Zeiten, da haben wir uns auf den Zügen der Doppelbesetzung angenähert, jetzt sind wir wieder runter auf 30-40 % Besetzungsquote.“ Übersetzt heißt das: Auf bestimmten Linien ist lediglich auf jedem dritten Zug überhaupt ein Zugbegleiter tätig.
Es gab mal Zeiten, da haben wir uns auf den Zügen der Doppelbesetzung angenähert, jetzt sind wir wieder runter auf 30-40 % Besetzungsquote.
Christian Gebhardt, Fachexperte von mobifair
Er rief die politischen Vertreter zum Handeln auf, die Weichen bei den bevorstehenden Ausschreibungen für 2028 und 2029 richtig zu stellen und das Thema Sicherheit stärker zu berücksichtigen und zu finanzieren. Ein erster Erfolg: Im Nachgang der Konferenz kündigte Schütz an, mehr Geld für Videotechnik und Sicherheitspersonal in den neuen Verkehrsverträgen bereitstellen zu wollen.
Die EVG arbeitet seit vielen Jahren daran, Politik und Öffentlichkeit beim Thema wach zu rütteln, u.a. mit der gemeinsamen DGB-Kampagne „Hier arbeitet ein Mensch“ oder „Mehr Achtung“. Die stellvertretende EVG-Vorsitzende Cosima Ingenschay mahnte jedoch: „Kampagnen sind gut, aber das Problem ist seit den Corona-Jahren nicht besser geworden. Im Gegenteil. Es braucht wirklich deutliche politische Verbesserungen.“ Steffen Schütz ermutigte die EVG-Vertreter dennoch darin, weiterzumachen: „Machen Sie das Thema weiter öffentlich. Zeigen sie, wofür sie jeden Tag einstehen.“
Diesen Appell nahmen unsere Kolleginnen und Kollegen ernst und machten deutlich, was neben den politischen Rahmenbedingungen verbessert werden muss. Sven Körner von der Erfurter Bahn, der allein im letzten Jahr drei Vorfälle erleben musste, wünschte sich mehr Nachsorge seines Arbeitgebers und beschrieb den immensen Zeitaufwand im Umgang mit Strafanzeigen. „Ich fühlte mich da sehr alleingelassen“, gab er auf offener Bühne zu verstehen, immer noch sichtlich angefasst von dem, was er erleben musste. Auch Robert Schmiedel von DB Regio wünschte sich hierbei Unterstützung. „Warum bin ich eigentlich alleinig derjenige, der eine Strafanzeige macht, warum kann das der Arbeitgeber nicht auch machen?"
Was mich aufrichtet, ist der Zusammenhalt unter den Kolleg:innen.
Hannes Landskron, Kundenservice DB Vertrieb
Einig waren sich alle Teilnehmenden darin, dass die Strafverfolgung zu langsam ist. Diesen Umstand machte auch die EVG-Sicherheitsbefragung von 2024 deutlich. Lediglich 1/3 der Betroffenen gab an, überhaupt Vorfälle anzuzeigen. Das liege darin begründet, dass viele Kolleg:innen kein Vertrauen darin hätten, dass eine solche Anzeige überhaupt etwas bringen würde, ordnete EVG-Vorstandssekretärin Nina Blumenthal bei der Vorstellung der Befragungsergebnisse diesen Befund ein und bekräftigte zugleich die EVG-Forderung nach Etablierung von Sonderdezernaten bei den Staatsanwaltschaften.
Die Konferenz machte deutlich, wie umfassend das Thema Sicherheit ist. Vor diesem Hintergrund kritisierte EVG-Vize Ingenschay die oft einseitige Berichterstattung zu dem Thema und bezog sich dabei auf die Schlagzeilen im vergangenen Jahr. So hat es vermehrt Vorfälle im Zusammenhang mit einer Unterkunft für Geflüchtete in Suhl gegeben, was in einigen Medienbeiträgen als alleinige Ursache für das wachsende Unsicherheitsempfinden herangezogen wurde. Rechtsradikale Plattformen griffen die entsprechende Berichterstattung auf und instrumentalisierten das Thema für ihre Zwecke. Auch mehrere Teilnehmende der Konferenz störten sich an dieser einseitigen Betrachtung. „Die Täter kommen wirklich aus allen Bereichen. Am meisten machen uns betrunkene Party-Gäste oder Fußballfans am Wochenende zu schaffen“, hieß es von den Teilnehmenden.
Was an diesem Tag auch deutlich wurde: Die anwesenden Arbeitgeber-Vertreter:innen nahmen das Thema ernst und nahmen offen an der Diskussion teil. Dazu trägt sicherlich auch die wachsende Sorge bei, dass das Sicherheitsempfinden die Attraktivität für Fachkräfte schmälere. Das teilte auch der 27-jährige Hannes Landskron, der als Quereinsteiger erst seit einem Jahr im Kundenservice bei DB Vertrieb arbeitet. „Ich trage meine Unternehmensbekleidung mit Stolz, aber bei den Berichten und meinen Erfahrungen habe ich Zweifel, ob ich das durchhalten kann. Was mich aufrichtet, ist der Zusammenhalt unter den Kolleg:innen“, sagte der überzeugte Eisenbahner bestimmt, worauf er viel Applaus aller Anwesenden bekam.
Um konkrete Lösungen zu erarbeiteten, trafen sich die Teilnehmenden abschließend in verschiedenen Workshops. Neben der Forderung nach Erhöhung der Zugbegleitquoten und einer stärkeren Präsenz der Bundespolizei wurde auch die Idee nach Rückzugsorten für Beschäftigte in Bahnhöfen und Zügen besprochen. Auch die Belastungen durch das erhöhte Fahrgastaufkommen im Zuge der Einführung des Deutschlandtickets wurde diskutiert. Hier wünschten sich die Kolleg:innen insgesamt mehr Kapazitäten.
EVG-Geschäftsstellenleiter Tarek Barnoura schloss die Veranstaltung mit einem positiven Fazit: „Wir haben gezeigt, dass wir die Politik erreichen und überzeugen, wenn wir als Eisenbahnerfamilie die Stimme erheben und wenn wir zusammenstehen, über die Unternehmensgrenzen hinweg. Das stimmt optimistisch für die Zukunft."