Plattform-Ökonomie: Vorausschauend denken und handeln

Im Weichenstellungsprozess geht es auch darum, sich mit neuen Geschäftsmodellen in unserem Organisationsgebiet auseinanderzusetzen. Zum Beispiel mit der Plattformökonomie.

„Plattformen sind die Schienen des 21. Jahrhunderts“, so ein Internet-Unternehmer jüngst während eines Kongresses in Berlin. Das hatte der DB-Vorstand Personenverkehr Bertold Huber vor ein paar Jahren noch anders gesehen. Ein Gespräch mit den „Flix“-Gründern hatte er damals abgelehnt. Heute ist es „Flix“, die keinen Wert mehr darauflegen. Ihre Erfolgsgeschichte als Onlinevermittler von Tickets für Bus- und Bahnreisen macht das offenbar überflüssig.  - Wirklich? Nicht aus Sicht unserer Gewerkschaft als Interessenvertretung für genau diese Branche.   

Die EVG und ihre Betriebsrätinnen und Betriebsräte haben dabei vor allem die Sorgen und Zweifel der betreffenden Beschäftigten immer im Auge. Dazu gehört es, dass wir das digitale Regelwerk für die „Schiene des 21 Jahrhunderts“ mitschreiben. „Unsere Aufgabe ist es, vorausschauend zu denken und zu handeln; über traditionelle Denkmuster hinaus“, so Kristian Loroch, Projektleiter der „Weichenstellung“. „Unsere Mitglieder erwarten von uns, dass wir agieren, nicht nur reagieren“. 

Für die Beschäftigten bergen die neuen Geschäftsmodelle Chancen und Risiken zugleich. Zum einen entwickeln sich neue Arbeitsfelder mit teils neuartigen Jobbedingungen. Zum anderen laufen geregelte Sozialstandards Gefahr, leise, still und unbemerkt in unregulierte Prozesse abzudriften. Warum? Aktuell übt bereits gut jeder achte Arbeitnehmer in Deutschland eine Tätigkeit aus, die sich automatisieren, von „außen“ steuern und ggf. von Dritten vermitteln lässt. Tendenz steigend. Trends, die neue somit wieder neue Spielräume für Plattformbetreiber mit neuen Arbeitsformen zulassen. Was machen Millionen Taxi, Lkw– und Busfahrer oder Postboten rund um die Welt erst, wenn autonomes Fahren, Roboter und Drohnen zum Standard werden? 

Inzwischen wird auch die Deutsche Bahn voll vom Transformationssog mitgerissen und treibt in eigenen Innovationseinheiten ihre digitale Zukunft voran. Insgesamt arbeitet der Konzern an mehr als 250 Digitalisierungsprojekten, ist an 22 Start-ups beteiligt; darunter Flinkster und Flink. Gleich sieben Entwicklerzentren, so genannte Labs, arbeiten unter anderem an elektronischen Mobilitätsangeboten, an kreativen Ideen für mehr Kundenerlebnis im Personenverkehr oder untersuchen die Zukunft der Arbeit. Ziel ist es, den Anforderungen der künftigen Verkehrsströme gewachsen zu sein. „Eine effiziente, perspektivisch ausgerichtete Vernetzung der Verkehre ist der DB bis jetzt nicht gelungen“, kritisiert Kristian Loroch. Er wünsche sich, dass der Konzern eine eigene Plattform betreibt, die die Verkehre regelt. Es dürfe nicht so weit kommen, dass die DB oder private Bahnunternehmen zum Dienstleister einiger Tüftler werden, die Gesetzeslücken oder Grauzonen ausnutzen, mahnt er. Das werden wir als EVG in unserer Branche zu verhindern wissen.
   
Plattformen, die über das Internet Dienstleistungen oder Waren vermitteln, machen ihre Beute weitestgehend risikolos: Sie kapern die Kunden und degradieren die eigentlichen Dienstleister oder Auftragnehmer zu Handlangern. Für die Rendite unterlaufen die Online-Kraken herkömmliche, ineffiziente Wirtschaftsprozesse. Beispiel „Flix“: Sie vermitteln Fernfahrten für rund 1000 Busse von 250 Partnerunternehmen mit 5000 Busfahrer*innen ; neuerdings auch für erste Personenzüge. Aktuell soll das Start-up auch über Flix-Charter, Flix-Cargo und Flix-Plain nachdenken. 

Der Bewusstseinswandel in unserer Gewerkschaft ist bereits in vollem Gange. „Wenn die drei Gründer so eine Art Steve Jobs der Verkehrsbranche darstellen, müssen wir der Elon Musk der Arbeitnehmervertreter sein“, so Loroch weiter. Wir als Interessenvertreter müssen utopisch denken, damit wir jederzeit moderne Lösungen parat haben. So stellt sich Loroch eine Union aller europäischen Eisenbahnen als Gegenpol zu den Plattformen in der Verkehrsbranche vor. „Utopie pur! Aber möglich!“ Weitere Ideen und hebt er sich für die gewünschten Gespräche mit „Flix“ auf. Ziel wird sein, den Betreibern des Start-up`s ihre Vorteile für tarifliche Vereinbarungen nahe zu bringen und mit der EVG auszugestalten. 

Plattformen wie „Flix“ müssen erkennen, dass auch sie eine Mitverantwortung für Arbeitnehmer*Innen ihrer Dienstleister haben. Es geht darum, mit modernen und auf lange Sicht zeitgemäßen Rahmenbedingungen die Interessen der Beschäftigten zu schützen. Dass unser stetiges Rütteln an der Pforte der Berliner Politik erfolgreich ist, zeigt das jüngst angekündigte „Zukunftsbündnis Schiene“.  Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer erwartet davon einen „Wow-Effekt beim Bahnfahren“. Bis 2030 sollen doppelt so viele Fahrgäste die Bahn nutzen als jetzt und mehr Güterverkehr auf die Schiene gebracht werden.

Die EVG als politische Organisation, arbeitet intensiv daran, saubere Beschäftigungsbedingungen im Bahn- und Busbereich durchzusetzen. Für Plattformbetreiber wollen wir gesetzliche Standards durchsetzen, mit denen sie Arbeitgeberpflichten gegenüber den Dienstleitungserbringern zu übernehmen haben. Nur dann bleibt die Schiene attraktiv und sicher für Betreiber und Nutzer. Wir als EVG fordern „Flix“ zu Tarifverhandlungen auf, damit sich die Beschäftigten ihrer ausführenden Dienstleistungsunternehmen ebenfalls sicher fühlen können. Wettbewerb ja. Aber fair muss er sein!