„Warum muss alles so schnell gehen“? Diese Frage wurde während der jüngsten Zukunftswerkstatt am Dienstag und Mittwoch in Fulda immer wieder gestellt. Zu „normalen Zeiten“ würde die EVG die Tarifverhandlungen mit den NE-Bahnen und der DB AG nach Auslaufen der Tarifverträge - also zum 1.3.2021 - aufnehmen. Jetzt soll mit der Deutschen Bahn bereits ab dem 17. August verhandelt werden - fünf Tage non-stop hintereinander.
Diese Eile führte bei manchen Teilnehmenden der Zukunftswerkstatt zu Irritationen. Und bei vielen Kolleginnen und Kollegen aus dem Bereich der NE-Bahnen zunächst auch zu Unverständnis. Aus nachvollziehbaren Gründen - war das Ziel der EVG doch eigentlich gewesen, im März nächsten Jahres gemeinsame Tarifverhandlungen in der gesamten Branche zu führen.
Doch dann kam Corona. „Und wir mussten mit dem ‚Bündnis für unsere Bahn‘ Sorge dafür tragen, dass es nicht die Beschäftigten sein werden, die für diese Entwicklung die Zeche zahlen“, sagte EVG-Verhandlungsführer Kristian Loroch auf der Zukunftswerkstatt. Zudem habe die EVG den Bund darauf verpflichtet, „mit flankierenden Maßnahmen und Unterstützungsleistungen die gesamte Branche des Schienenpersonen- und Schienengüterverkehrs zu stabilisieren“. „Damit partizipieren auch die NE-Bahnen an diesem Bündnis“, so Kristian Loroch.
Damit das Bündnis seine Wirkung entfalten kann, sollen ab dem kommenden Montag Tarifverhandlungen mit der Deutschen Bahn geführt werden. „Das haben wir zusagt. Denn nur so können wir verhindern, dass die Zeche am Ende die Beschäftigten zahlen.“
„Wir werden aber weder Bund noch Bahn einen Blanko-Scheck ausstellen“, betonte Loroch. „Wenn wir in den nächsten Tagen zu einem Ergebnis kommen, werden wir einen möglichen Abschluss unter den Vorbehalt stellen, dass ein solcher Tarifvertrag erst dann wirksam wird, wenn Bund und Bahn nachweislich erbringen, was sie zugesagt haben. Das ist für uns eine entscheidende Voraussetzung.“
In welchem wirtschaftlichen Umfeld die Verhandlungen stattfinden, hatten zuvor die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Zukunftswerkstatt deutlich gemacht. Sie zeichneten sowohl bei den NE-Bahnen - etwa bei Keolis, Abellio oder VIAS - , als auch bei der DB AG völlig unterschiedliche Bilder. So gibt es insbesondere bei der Deutschen Bahn Geschäftsbereiche, an denen die Pandemie scheinbar spurlos vorbei gegangen ist. Die IT-Dienstleister haben mehr zu tun, als je zuvor. Im Bereich von DB Sicherheit gibt es keinerlei Einbrüche und die Kolleginnen und Kollegen, die die Infrastruktur instand halten, klagen mittlerweile schon darüber, kaum mal einem Tag freinehmen zu können, weil so viel zu tun ist.
Anderseits bleibt die Lage bei DB Cargo weiterhin bedrohlich und auch im Personenfernverkehr liegen die Fahrgastzahlen langfristig unter den bisher üblichen, was zu hohen Millionenverlusten führt, die nicht kompensiert werden können. „Deshalb muss es unser Ziel sein, einen drohenden Domino-Effekt zu verhindern. Selbst wenn es einzelnen Unternehmensbereichen gut geht, kann das gesamte Unternehmen in Schieflage geraten, wenn es nicht gelingt, die Bereiche zu stabilisieren, die im Moment große Probleme haben. Hier ist Solidarität gefragt“, so Kristian Loroch. Er stimmte damit die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Zukunftswerkstatt auf Lohnzuwächse ein, die im Rahmen des insgesamt wirtschaftlich Vertretbaren liegen würden.
Klar ist, dass wir als EVG wieder Kernforderungen entwickeln, die wir gemeinsam in der gesamten Branche durchsetzen werden.
„Das Ärgerliche ist, dass die DB AG ihre Lage in der Öffentlichkeit immerzu beschönigt, statt endlich mal zuzugeben, dass dem Konzern das Wasser eigentlich bis zum Hals steht“, schimpfte ein Teilnehmer. „Es muss immer alles ganz toll sein, aber an uns denkt von den Führungskräften niemand“, kritisierte er. So sollten (und wollten) die Zugbegleiter während des Dienstes Masken tragen, hätten aber so gut wie keine Rückzugsmöglichkeit, da das Dienstabteil häufig belegt oder aber zu klein sei. Der Vorschlag, im ICE und IC je ein Abteil für die auf dem Zug Beschäftigten zu reservieren, damit diese gelegentlich mal die Maske abnehmen und durchatmen können, wurde aber abgelehnt. Jeder Platz im Zug werde für Reisende gebraucht, habe es geheißen. Wertschätzung sieht anders aus.
Fehlende Wertschätzung durch den Arbeitgeber bemängeln auch die Busfahrerinnen und Busfahrer, deren Tarifverhandlungen im Rahmen der vorgezogenen „Bündnis-Verhandlungen“ wieder aufgenommen werden sollen. Zu niedrige und ungleiche Löhne - nur einer ihrer Kritikpunkte.
Mit welchen Forderungen die EVG in die Verhandlungen mit der Deutschen Bahn geht, wurde im Rahmen der Tarifwerkstatt noch einmal aufgezeigt. Neben einer Entgelterhöhung, soll es auch um die Frage von Mobilität und Wohnen, Arbeitszeit sowie die Leistungsvergabe an Subunternehmen gehen. Alles Themen, die für den NE-Bereich ebenfalls eine wichtige Rolle spielen. Auch die Jugend hat dabei ihre Forderungen nochmals bekräftigt. Einheitlichere Bedingungen für Nachwuchskräfte sind hier eines der zentralen Themen, für das wir uns als EVG einsetzen wollen.
„Klar ist, dass wir als EVG wieder Kernforderungen entwickeln, die wir gemeinsam in der gesamten Branche durchsetzen werden, auch wenn wir jetzt zu unterschiedlichen Zeiten verhandeln“, erläuterte Kristian Loroch. Mit den Kolleginnen und Kollegen aus dem NE-Bereich werde es dazu in Kürze ein weiteres Treffen geben.
Einstimmig sprachen sich die Teilnehmenden der Zukunftswerkstatt dafür aus, dass es noch in diesem Jahr eine Mitgliederbefragung zu den Schwerpunkten der neuen Tarifrunden geben soll. In Erfahrung gebracht werden soll dabei, wo die EVG-Mitglieder bei den Kernforderungen ihre persönlichen Schwerpunkte setzen. „Das ist insbesondere für die Verhandlungen im NE-Bereich wichtig. Zudem wollen wir wissen, in welche Richtung wir unsere Kernforderungen in künftigen Tarifverhandlungen weiterentwickeln sollen“, so Kristian Loroch.
Eindeutig fiel am Ende auch das Votum aus, ab Montag mit der DB AG Tarifverhandlungen im Rahmen des „Bündnis für unsere Bahn“ aufzunehmen - und die für den Busbereich fortzusetzen. Eine Entscheidung, die auch von den Kolleginnen und Kollegen aus dem NE-Bereich mitgetragen wurde. „Wir sind zwar nicht betroffen, aber wir erklären uns solidarisch“, stellte ein Kollege klar. Ganz im Sinne unseres Grundsatzes - Wir leben Gemeinschaft.
Die finale Entscheidung zur kurzfristigen Aufnahme von Tarifverhandlungen wurde von der Tarifkommission der DB AG sowie dem Tarifausschuss am Donnerstagabend getroffen.
„Corona hat unsere Pläne, 2021 für die gesamte Branche zeitgleich Tarifverhandlungen zu führen, durchkreuzt. Wir werden nun dafür sorgen, dass alle Tarifverträge, die wir in der neuen Tarifrunde abschließen, wieder zeitgleich auslaufen, so dass wir in der nächsten Runde unsere Handlungsstärke gemeinsam unter Beweis stellen können“, sagte Kristian Loroch.
Jede Tarifrunde stehe unter einem Motto. Das aktuelle lautet „Fair nach vorne“. Die Inhalte der Kampagne, die auch das „Bündnis für unsere Bahn“ einschließt, sowie die Beteiligungsmöglichkeiten der Mitglieder, stellte abschließend Jörg Kronberg vor. „Wir setzen darauf, dass sich ganz viele unserer Mitglieder an der aktuellen Fotoaktion beteiligen und freuen uns, wenn vor Ort eigenständig kreative Initiativen entwickelt werden. Dass wir das können, haben wir schon in der Tarifrunde 2018 gezeigt“, sagte er. Unterstützung gäbe es unter anderem durch die EVG-Geschäftsstellen. Weitere Informationen findet Ihr auf unserer Themenseite.